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16.01.2005Kinojahr 2004, Teil 2Der Horrorklassiker, der Alte Klassiker, der Genre-Klassiker(MK) Weiter geht es im Filmjahr 2004 mit Klassikern, warum Kinobesucher Verbrecher sind, und sechs mal "Ferner liefen".Mai: Das geheime FensterMit der Bezeichung "Horror-Klassiker" ist nicht der Film selbst gemeint, sondern der Schriftsteller, dessen Erzählung hier verfilmt wurde: Stephen King. Mit fünfzehn Jahren las ich das bisher einzige Mal ein Buch von ihm, eine Erzählungssammlung mit dem Titel "Nachtschicht". Eine Geschichte bewog mich, einige Tage (bzw. Nächte) lang sehr genau darauf zu achten, daß die Türen meines Kleiderschranks auch wirklich geschlossen waren. Die anderen Geschichten beeindruckten mich allerdings weniger; vielleicht liegt das daran, daß meine Phantasie nicht ausreicht, um mir vorzustellen, daß ein Maisfeld etwas Bedrohliches hat.Kings Methode, Spannung zu erzeugen, ist es, für den Horror keine außergewöhnlichen Schauplätze zu wählen. Das Irrationale, Angsterregende sucht uns im Alltag heim. Häufig spielt der Geisteszustand der Protagonisten eine große Rolle. In der Wahrnehmung von Kings Charakteren verschmelzen Wirklichkeit und Einbildung. In diesem Film sieht sich die von Johnny Depp verkörperte Hauptfigur, ein beruflich und privat gescheiterter Schriftsteller, durch einen Fremden in Lebensgefahr. Gemeinsam mit dem Zuschauer merkt er nach und nach, daß der Fremde nichts als ein Hirngespinst ist, und daß all die Bluttaten, die seine Umgebung in Atem halten, in Wirklichkeit von ihm selbst begangen worden sind. Dieses klassische Motiv ist eingefleischten Horror- und King-Fans natürlich geläufig, so daß ihnen schnell klar sein dürfte, wie sich der Film entwickeln wird. Auch die anderen Zuschauer kommen bald dahinter, so daß am ehesten die schauspielerische Leistung Johnny Depps zu würdigen ist, der über viel Erfahrung in der Darstellung von Außenseitern, Sonderlingen und Übergeschnappten verfügt und seinen Part gewohnt gut meistert.
Mai: TrojaDer Mythos Troja ist mit Sicherheit ein großer Stoff und verdient eine epische Verfilmung. Wie soll man dabei vorgehen? Soll man den historischen Kern in den Vordergrund treten lassen, und versuchen, die Kultur der Troer und der Griechen von vor mehr als 3000 Jahren filmisch zu rekonstruieren? Oder möchte man den phantastischen Charakter der zugrundeliegenden Werke hervorheben und zeigt die griechische Götterwelt, deren Vertreter höchstpersönlich in den Krieg eingegriffen haben?Wolfgang Petersen wählte die "historische" Variante. Götter kommen in seinem Film nur vor, wenn die Protagonisten sie anrufen. Selbst so verbleiben noch mehr als genügend menschliche Charaktere, so daß es schwerfällt, ihnen allen in einem einzigen Film gerecht zu werden. Petersen legt sein Hauptaugenmerk auf Agamemnon, den Anführer der Griechen, der am ehesten die Rolle des Bösewichts übernimmt, den strahlenden (und etwas langweilig dargestellten) Helden Achilles und Hektor, der - genau wie in der Ilias, der literarischen Vorlage - sehr gut wegkommt, als Patriot in bestem Sinne und treuer Diener der trojanischen Sache. Im Film ist der Raub der Griechin Helena durch den Troer Paris nur vordergründig der Grund des Krieges. Der machtbesessene König Agamemnon nutzt den Vorfall als Anlaß, seinen Einflußbereich auszudehnen und die reiche Stadt Troja zu überfallen. Diese Variation wurde in den Kritiken mehrfach als Parabel auf heutige Machthaber und die Doppelmoral interpretiert, mit der sie ihren Einfluß in der Welt auszudehnen versuchen. Wer sich auf eine aufwendige Ausstattung und Kostümierung gefreut hat, sieht sich getäuscht: Die Stadt Troja ist nicht mehr als eine uninteressante, nicht einmal besonders große Festung mit nackten, farblosen Mauern. Der legendäre Reichtum des Priamos will sich nicht so recht zeigen. Mit den Griechen ist es nicht besser. Archäologische Funde und literarische Überlieferungen betonen die Individualität griechischer Krieger, die in der Verfilmung kaum zum Tragen kommt. Nach Peter Jacksons Mammutwerk "Der Herr der Ringe" mag man vielleicht gedacht haben: alles ist adäquat verfilmbar. Wenn das stimmen sollte: mit "Troja" hat es Petersen jedenfalls nicht geschafft. Buchempfehlung zur Archäologie von Troja (svr): Birgit Brandau, "Troja. Eine Stadt und ihr Mythos. Die neuesten Entdeckungen", Bastei-Verlag Gustav Lübbe 1997 (ISBN: 3-404-64165-5)
Mai: The Day after TomorrowMit "Klassiker" ist hier das Genre gemeint. Man sollte meinen, der ureigene amerikanische Film ist der Western. Aber hier haben die Europäer Hollywood längst überflügelt: die inspirierendsten und besten Western wurden von dem Italiener Sergio Leone erschaffen. Worin das amerikanische Kino jedoch unübertroffen bleibt, ist - der Katastrophenfilm.In Katastrophenfilmen wird die Kinogänger-Welt fasziniert Zeuge, wie etwas geschieht, was keiner feindlichen Armee, keinem Terroristen bisher auch nur ansatzweise gelungen ist: mit großem Aufwand werden amerikanische Städte zerstört und wird manchmal sogar ganz Amerika verwüstet. In "The Day after Tomorrow" geschieht dies durch den menschengemachten Klimawandel: Es kommt zu einem Erliegen des Golfstroms und infolge dessen zu einem extrem schnellen Hereinbruch einer Eiszeit auf der nördlichen Erdhalbkugel. In gewohnter Katastrophenfilm-Manier erzählt "The Day after Tomorrow" vom Schicksal einer Handvoll Personen, die in irgendeiner Form mit der Klimaänderung zu tun haben: die Wissenschaftler, die die Katastrophe vorausgesagt haben, deren Familien, die Mitschüler ihrer Kinder, der amerikanische Präsident und sein Kabinett, die ein ganzes Volk retten müssen. Mit dem Film spricht sein Macher Roland Emmerich eine Mahnung an die Menschen der Industrienationen aus: der anthropogene Klimawandel könnte ihren Wohlstand zerstören und ihr Leben bedrohen. Zum Schluß sind es die überlebenden US-Amerikaner, die über die Grenze des südlichen Nachbarstaat Mexiko gelangen wollen, um dort Schutz zu suchen. Wie immer in Katastrophenfilmen haben die Schauspieler einen schweren Stand, müssen sie doch gegen ein eher einfaches Drehbuch und eine sehr ausgefeilte Tricktechnik antreten, die nur bei der Darstellung von Wölfen versagt, die eher unvermittelt auftreten und sich auch nicht unbedingt artgemäß verhalten. Aber zum Mythos eines katastrophalen Winters gehören offensichtlich Wölfe dazu, die dem Menschen eine zusätzliche Bedrohung sind. Natürlich ist das Klimaszenario des Films unrealistisch. Sehr wohl wird in Fachkreisen das Erliegen des Golfstroms diskutiert, dem Europa sein außerordentlich warmes Klima verdankt. Dies würde aber nur bei derart warmen Klimabedingungen geschehen, daß es in Europa selbst ohne den Golfstrom immer noch wärmer wäre als heute. Die härtesten Folgen der menschengemachten Klimaänderungen werden nicht in den Industrienationen zu spüren sein, sondern in der Dritten Welt. Auch insofern ist Emmerichs Film eine wohlmeinende aber unrealistische Mahnung. Nichtsdestotrotz hat "The Day after Tomorrow" ein beachtliches Echo in der Presse, unter anderem in der Zeit und bei Spektrum der Wissenschaft. Sogar das Bundesumweltministerium hat eigens zu diesem Thema Bildungsmaterial zusammengestellt. Ich gestehe, daß ich ein großer Liebhaber von Katastrophenfilmen bin. Sie vermitteln die Illusion von aufsehenerregenden, schrecklichen Ereignissen, die man ruhigen Gewissens genießen kann, und sind dabei letztendlich leichte Kost. Ich erinnere mich an die Vorfreude, mit der ich im Kinosaal saß. Werbung und Trailer waren gerade vorbei, der Kinoangestellte kam herein und fragte: "Möchte jemand Eis?" Oh ja, wegen des Eises war ich gekommen.
zu Teil 1 (Rührende Kamele, Schocker aus dem Hindukusch und aus der Heiligen Schrift) Demnächst in diesem Kino: Teil 3 (Kinosommer mit Zauberern, Monstern und Samurai)
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