06.06.2004

Der Weberaufstand von 1844 in Schlesien

(VS) Schon am 03.06.1844 brodelte ein Aufstand von Webern, der sich am 04.06.1844 gegen die Ausbeutung durch Großhändler richtete und am 06.06.1844 von der preußischen Armee blutig niedergeschlagen wurde. Dieser Weberaufstand vom 4. - 6. Juni 1844 wird als erster deutscher Aufstand des sich herausbildenden Proletariats im Zuge der Industrialisierung gesehen. Künstler verklärten den Aufstand: Das Gedicht "Die schlesischen Weber" von Heinrich Heine erschien 1845 kurz nach dem Aufstand der Weber. Ein halbes Jahrhundert später schreibt der Dramatiker Gerhart Hauptmann das Theaterstück "Die Weber", in dem er die historischen Vorgänge dramatisiert; sein Großvater soll selbst am Weberaufstand teilgenommen haben. Weitere knapp 50 Jahre später wird die junge Käthe Kollwitz mit ihrem Grafikzyklus "Der Weberaufstand" berühmt.

Zur Zeit des Aufstandes gab es in Deutschland nach Schätzungen weniger als 5% Fabrikarbeiter unter den Beschäftigten. Die meisten Arbeiter verdienten ihren Lohn in Heimarbeit. Die Weber z.B. erhielten Garn und Wolle von einem Großhändler und fertigten zuhause auf ihrem Handwebstuhl Leinwand oder Wollstoffe. Nach dem Fortfall der napoleonischen Kontinentalsperre waren, angesichts der preußischen Freihandelspolitik und durch die Einführung des mechanischen Webstuhls in England, billigere Produkte ins Land geströmt. Die Umstellung bei den deutschen Fabrikanten führte in Schlesien zu Lohnverfall, der auch durch Kinderarbeit und die Ausdehnung der täglichen Arbeitszeit nicht ausgeglichen werden konnte. Zudem wurde diese Situation von manchen Großhändlern rücksichtslos ausgenutzt. So kam ein Heimarbeiter, selbst wenn Frau und Kinder mitarbeiteten, nicht einmal auf 50 Taler im Jahr. Da es keine staatliche Sozialfürsorge gab, kehrte in die Weberhäuschen der Hunger ein, das Brot ersetzte den Braten. In einem Spottlied bezeichnete ein Weber die Großhändler Gebrüder Zwanziger als Schurken und wurde von der Polizei ergriffen. Daraufhin versammelten sich am 04.06.1844 gegen 14.00 Uhr im niederschlesischen Peterswaldau, der heute polnischen Stadt Pieszyce, und den Nachbardörfern ca. 3.000 Weber; es entstand ein Protestzug mit dem Ziel, von den ortsansässigen Unternehmern Zwanziger höhere Stücklöhne zu fordern. Doch die Gebrüder Zwanziger, die als Großhändler oder "Verleger" das Fünfhundert- bis Tausendfache an der Leinwand oder den Wollstoffen verdienten, ließen sich nicht darauf ein. Schon bei der letzten Lohnkürzung hatten die Zwanziger geäußert, "die Weber möchten nur, wenn sie nichts anderes hätten, Gras fressen; das sei heuer reichlich gewachsen". [1] Respektloses und spöttisches Ablehnen jedweder Verhandlungen durch Arbeitgebervertreter brachte nun die angestaute Wut der Weber vollends zum Ausbruch. Sie stürmten das Haus der Zwanziger, zerstörten die gesamte Einrichtung, zerrissen die Rechnungsbücher und Wertpapiere und zerschlugen die Maschinen. Es folgten Plünderungen und Zerstörungen verschiedener Fabrikations-Etablissements.
Die wutentbrannte Menge marschierte nach Langenbielau. Hier war die Firma Dierig verhältnismäßig gut über die sich aus der technischen Entwicklung ergebende Krise der Baumwollindustrie hinweggekommen. Man hatte besser disponiert, die Verkaufsorganisation war eingespielt und man hielt größtes Augenmerk auf schöne, marktgerechte Ware. Es ging den Arbeitern bei Dierig besser; sie wollten ihre Arbeitsstätten erhalten und, wenn es sein mußte, verteidigen. Als die revoltierende und plündernde Menge anrückte, öffnete Maschinenmeister Menzel die Ventile im Kesselhaus, woraufhin der ausströmende Dampf die Angreifer verjagte und größeren Schaden verhinderte; dennoch gingen insgesamt für 80.000 Taler Maschinen in Trümmer, verbrannten Garne und Gewebe.
Die Behörden von Reichenbach veranlassten das Eingreifen des preußischen Militärs. Wie nun am 05.06.1844 die Weber wieder in Langenbielau vor dem Hause des Unternehmers Dierig stehen und dieser "zur Beruhigung" an jeden Weber 5 Silbergroschen auszahlte und Brot und Butter nebst einigen Speckseiten verabreichte, lässt der Kommandeur einer abkommandierten Einheit in einer scheinbaren Unruhe auf die Menge schießen. Es sterben elf Menschen (darunter Frauen und Kinder), weitere 24 sinken schwerverwundet zu Boden. Die Einheit weicht zunächst den Knüppeln und Steinen der wutentbrannten Arbeiter und wartet auf Verstärkung. Als dann in der Nacht zum 06.06.1844 vier Kompanien mit vier Geschützen und durch Kavallerie verstärkt Peterswaldau und Langenbielau besetzen sowie weitere Truppen in die umliegenden Weberdörfer (wie Arnsdorf, Peilau usw.) einziehen, ist der Aufstand niedergeschlagen. Gut 100 Weber werden verhaftet und dem Breslauer Oberlandesgericht übergeben. Es werden mehr als 80 Angeklagte zu 203 Jahren Zuchthaus, 90 Jahren Festungshaft und 330 Peitschenhieben verklagt. Immerhin hatten sie den Trost, sich im Zuchthaus immer noch besser zu befinden als in der sog. Freiheit. "Sie werden wenigstens nicht verhungern, nachdem sie der Staat in seine Obhut genommen hat". [1]
Bei dem Aufstand wurde kein Fabrikant persönlich angegriffen oder mißhandelt, es wurde kein Feuer gelegt und die Bäckerläden, gegen die sich auch die Wut richtete, blieben völlig verschont. Schon zuvor gab es Weberaufstände, u.a. 1828 in Krefeld.

Quellen
  1. Geschichtliche Weltkunde Bd. 2, 2. Aufl., 1975, Diesterweg Verlag, Frankfurt, S. 187 und 188
  2. Geschichte der Christian Dierig AG
  3. Preußenchronik: Der Hungeraufstand der schlesischen Weber wird blutig niedergeschlagen
  4. Preußenchronik: Schauplatz Peterswaldau
  5. wikipedia.org: Weberaufstand
  6. journalismus.com: Weberaufstand in Schlesien
  7. Wilhelm Wolff (1809-1864) über das Weberelend in Schlesien
Bildnachweis

Vorlage der Abbildung: Library of Congress, Prints and Photographs Division, Detroit Publishing Company Collection


Hauptseite Gesellschaft