Sozialproduktberechnung

16.04.2003

(VS) In der Sozialproduktberechnung können unterschiedliche Maßgrößen definiert werden. Hier stellt sich die Frage, wie sich die Versorgung der Wirtschaftssubjekte messen läßt. So soll das reale Bruttosozialprodukt sämtliche Güter und Dienstleistungen erfassen, die in einem Staat über eine bestimmte Periode erzeugt worden sind; diese Güter und Dienstleistungen werden gemeinhin als Indikator für Wohlstand betrachtet. Die Benutzung dieser Größe ist problematisch, weil es zwar die Güterversorgung mißt, aber keine Beziehung zur Bevölkerung, bzw. zur Zahl der zur Güterproduktion vorhandenen Bevölkerung herstellt. Abhilfe schafft hier, das reale Bruttosozialprodukt pro Kopf der Bevölkerung oder pro Kopf der erwerbsfähigen Bevölkerung zu beziehen. Eine weitere Verfeinerung wäre, es pro beschäftigtem Arbeiter bzw. pro Arbeitsstunde zu beziehen. Das reale Bruttosozialprodukt entspricht nicht den im Inland zum Konsum und zur Investition zur Verfügung stehenden Gütern und Dienstleistungen, solange die exportierten Güter und Dienstleistungen darin enthalten sind, die Importe jedoch fehlen. Die Länder mit Exportüberschuß tragen zur Erhöhung des Lebensstandards in Ländern mit Importüberschuß bei, obwohl die Sozialprodukte dieser Länder hiervon nicht verändert sind. Eine weitere Maßgröße ist der reale Konsum in einem Land in einer Periode. Auch hier kann die Aussagekraft durch Bezug auf Arbeiterzahl, Arbeitsstunden, Konsumgüterindustrie oder die im Inland zur Verfügung stehenden Konsumgütermengen verbessert werden. Eine wichtige Größe ist das Produktionspotential. Hierunter fällt die Messung des an sich möglichen Bruttosozialprodukts. Mit dieser Größe rechnet die Deutsche Bundesbank bei der Geldmengensteuerung.

Die hier genannten Maßzahlen weisen maßtechnische und definitorische Unzulänglichkeiten auf. So werden nur solche Güterproduktionen und Leistungen erfaßt, die auf Märkten angeboten und nachgefragt werden. Zwar wurde die Maßtechnik insoweit modifiziert, als z.B. Eigenverbrauch in der Landwirtschaft oder der Mietgegenwert für Wohnen im Eigenheim erfaßt wird. Allerdings bleiben auch weiterhin wesentliche Leistungen wie Hausfrauenarbeit oder die Schattenwirtschaft (handwerkliche Eigenleistungen der Haushalte; Schwarzarbeit) unerfaßt. Einen Ausweg bieten hier Schätzungen zum Teil grober Art, z.B. bei den Veränderungen der Vorratsinvestitionen. Ein weiteres maßtechnisches Problem ist, daß das reale Sozialprodukt aus dem nominalen Sozialprodukt durch Deflationierung mit dem Preisindex des Sozialprodukts gewonnen wird; durch die Wahl des Preisindexes - es können nicht alle Preise berücksichtigt werden - entstehen unüberwindliche Schwierigkeiten.

Definitorische Unzulänglichkeiten treten unter der Prämisse auf, daß alle Größen richtig gemessen werden können. Komponenten des Bruttosozialprodukts werden als Konsumgüter, Staatsausgaben oder Produktion bezeichnet, obwohl sie keine produktive Leistung darstellen, sondern Verlustcharakter haben, bzw. vorleistungsähnliche Kosten sind, die herauszurechnen wären. Beispiele sind zusätzliche strukturelle Kosten durch sekundären Urbanisationsprozeß, wie die Fahrt mit dem Auto zum Arbeitsplatz, der Parkraum oder Unfallfolgekosten, die zwar faktisch den Wohlstand erhöhen, obwohl Körperschäden den Wohlstand nicht erhöhen. Andere Teile des Bruttosozialprodukts werden nicht als Wohlstandsbestandteile empfunden, wie z.B. die Ausgaben für nationale Verteidigung, Atombombenversuche u.ä.. Als realer Konsum werden Ausgaben erfaßt, die eigentlich Investitionen darstellen, wie z.B. im öffentlichen Bereich das Wohnungswesen, Gesundheitswesen oder Erziehung. Alle Ausgaben der privaten Haushalte werden als Konsum bezeichnet, obwohl bei einigen Gütern die Nutzung lediglich den Konsum darstellt (Autokauf; PC sind ähnlich Investition). Andere Positionen erhöhen das Bruttosozialprodukt, obwohl sie das Vermögen verringern (z.B. nicht erneuerbare Rohstoffe, die abgebaut werden). Und einige Kostenelemente bleiben bei der BSP-Berechnung unberücksichtigt, wie Umweltschäden, deren Beseitigung wiederum wohlstandsfördernd wirkt, wobei das Verursacherprinzip und die Bewertung solcher Schäden schwierig oder unmöglich ist.

Hiervon unberücksichtigt werden in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR) folgende Maßgrößen genannt:

Volksprodukte nach der Güterentstehung: Der Bruttoproduktionswert ist die Summe der Werteinheiten aller End- und Zwischenprodukte. Werden hiervon die Zwischenprodukte (Vorleistungen) abgezogen ergibt sich die Bruttowertschöpfung oder der Nettoproduktionswert. Durch addieren der Einfuhrabgaben errechnet sich das Bruttoinlandsprodukt zu Marktpreisen (BIP). Das addieren der Auslandseinkommen von Inländern und subtrahieren der Inlandseinkommen von Ausländern ergibt das Bruttosozialprodukt zu Marktpreisen (BSP), welches in etwa das Einkommen ist, das den Inländern zur Verfügung steht. Nach Subtraktion der Reinvestitionen (Abschreibungen) hiervon zeigt sich das Nettosozialprodukt zu Marktpreisen oder Nettoinlandsprodukt. Abgezogen die indirekten Steuern hiervon plus der Subventionen erhält man das Nettosozialprodukt zu Faktorkosten oder Volkseinkommen.

Volksprodukte nach der Güterverwendung und Einkommensentstehung: Die Addition von privatem Verbrauch, staatlichem Verbrauch, privater Bruttoinvestition (Reinvestition), staatlicher Bruttoinvestition und Außenbeitrag (Differenz von Ein- und Ausfuhr) ergibt das Bruttosozialprodukt zu Marktpreisen (BSP). Die Addition der Bruttoeinkommen aus unselbstständiger Arbeit von Inländern und den Bruttoeinkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen von Inländern ist das Nettosozialprodukt zu Faktorkosten oder Volkseinkommen. Plus indirekte Steuern und minus der Subventionen ergibt sich das Nettosozialprodukt zu Marktpreisen. Das Hinzuzählen der Abschreibungen ergibt das Bruttosozialprodukt zu Marktpreisen (BSP).

Angesichts der genannten Unzulänglichkeiten bei der Volksproduktrechnung ist es berechtigt, die vermeintlich objektiven Ergebnisse der Wohlstandsmessung in Frage zu stellen. Dementsprechend wurde in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts versucht, den Begriff Wohlstand als den materiellen Lebensstandard um den Begriff Wohlfahrt als Kennzeichnung der Lebensqualität zu ergänzen oder zu ersetzen. Hierbei entwickelten die Wirtschaftswissenschaftler Nordhaus und Tobin 1972 das sog. "Measure of Economic Welfare (MEW)", welches in den beiden Erscheinungsformen MEW/A und MEW/S das Sozialprodukt korrigiert, indem soweit als möglich dessen Mängel beseitigt werden. Der Vorzug dieses Wohlstandsmaßes liegt darin begründet, daß es keinen Bruch zur Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung darstellt, sondern aus ihr entwickelt werden kann.

Ein wesentlicher Nachteil besteht darin, daß Umweltschäden kaum berücksichtigt werden. In diesem Sinne legte der Ökonom William Nordhaus eine Rechnung vor, nach welcher die Stabilisierung der CO2-Emissionen anhand der Zielsetzung vom Umweltgipfel in Toronto (1989) das Bruttosozialprodukt der USA um rund 200 Milliarden Dollar pro Jahr belasten würde, womit fortan in den USA jede vernünftige Klimapolitik und zugleich eine rationale Diskussion um eine ökologische Steuerreform beendet war. Die Annahmen dieser Rechnung sind jedoch aus ökologischer Sicht fragwürdig (vergl. v. Weizsäcker et. al./Faktor Vier/ Verlag Knaur/S. 181/182). Ein zweiter Weg zur Quantifizierung von Wohlfahrt und Lebensqualität besteht in der Aufstellung eines Systems sozialer Indikatoren, wes das OECD (Oraganization for Economic Coordination and Development) 1973 vorsah.




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