75 Jahre Penicillin

31.08.2003

(MF) Die Entdeckung des Penicillins durch Sir Alexander Fleming war nur der Anfang der Entwicklung einer vollkommen neuen Generation von Medikamenten. Sie stellte eine Herausforderung an die damals noch junge Wissenschaft der Bakteriologie dar. Viele Infektionen, die als kaum oder gar nicht heilbar galten, verloren plötzlich ihren Schrecken, die Bekämpfung von Infektionskrankheiten wurde revolutioniert. Bis heute hat Penicillin Millionen das Leben gerettet.

Die Entdeckung des Penicillins durch den am 06.08.1881 in Lochfield (Schottland) geborenen Bakteriologen Fleming beruht eigentlich, wie so oft bei den großen und wichtigen Entdeckungen, auf einen Zufall. Fleming, zu diesem Zeitpunkt bereits Professor an der University of London, beschäftigte sich gerade mit der Erforschung von Staphylokokken (Eitererreger). Diese Erreger lösen Wundinfektionen aus, die in damaliger Zeit häufig zu Amputationen oder gar zum Tode führten. Flemings Absicht war es, einen Impfstoff gegen Wundinfektion sowie andere, häufig tödlich verlaufende Infektionskrankheiten zu finden.
Seine Zuchtkulturen, die er in Petrischalen anzog, wurden häufig durch Schimmelpilze befallen, da sein Labor feucht war. In Flemings Augen untergruben sie seine Forschungen regelmäßig. Auf einer seiner angelegten Kulturen siedelte sich ein Schimmelpilz, der als Pinselpilz (Penicillium) bekannt ist, an.

Die Sporen dieses Pilzes entstehen perlenschnurförmig auf verzweigten Trägern, wodurch der Eindruck eines Pinsels entsteht. Fleming wollte die Kultur, die mit blaugrünem Schimmel überzogen war, zunächst vernichten. Derart verdorbene Kulturen lösen noch heute Entsetzen unter den Mikrobiologen aus (sämtliche Kulturmedien müssen verworfen und die Brutschränke müssen einer kompletten Grundreinigung unterzogen werden). Er machte jedoch eine Entdeckung, die ihn zu näheren Untersuchungen verleitete und ihn davon abhielt die Kultur zu entsorgen. Er bemerkte, dass in der direkten Umgebung des Pilzes keine weiteren Bakterien wuchsen.

Eine ähnliche Entdeckung gab es bereits im Jahre 1871 durch Joseph Lister. Lister arbeitete mit dem nach ihn benannten Stäbchenbakterien namens Listeria. Bei diesen Arbeiten stieß er auf das Phänomen, dass Schimmelpilze das Wachstum von Bakterien auf Käse oder Früchten abschwächen. Allerdings maß er diesem Phänomen keine weitere Bedeutung bei und widmete sich seinen bisherigen Forschungen.

Fleming im Labor Fleming hingegen hatte 1922 am St. Mary's Hospital in London entdeckt, dass Tränenflüssigkeit Bakterien auflösen kann. Die dafür zuständige Substanz benannte er Lysozym. Leider wurden nur harmlose Bakterien durch diese Substanz abgetötet, die gefährlichen Krankheitserreger hingegen nicht. Der Umstand, dass in der Umgebung dieses Pilzes die gefährlichen Erreger nicht wuchsen, reichte aus, um die Neugier des Forschers zu wecken. Zu seiner ersten Entdeckung zeichnete er folgendes auf: "Erstaunlicherweise zersetzen sich die Staphylococcus-Kolonien in einem beträchtlichen Umkreis um den Schimmelwuchs. Was früher eine ausgewachsene Kolonie war, war jetzt nur noch ein kümmerlicher Rest."
Er züchtete größere Mengen dieses Pinselpilzes der Gattung Schimmelpilz an und gab ihm den Namen Penicillium notatum. Die gewonnenen Extrakte dieses Pilzes töteten eine Reihe der gefährlichsten Erreger ab. Fleming testete sein Schimmelpilzextrakt an den für den Menschen tödlichen Erregern von Milzbrand (Anthrax), Hirnhautentzündung (Meningokokken) und Diphterie (Corynebakterien). Weitere Untersuchungen seinerseits ergaben auch, dass der Extrakt des Pilzes Leukozyten (weiße Blutkörperchen) unbehelligt lässt. Fleming erkannte die Bedeutung dieser Beobachtungen. Allerdings konnte er das Problem der Instabilität des Extraktes sowie die Isolation des Wirkstoffes nicht zur Gänze lösen, weil er nicht über die dazu notwendigen Ressourcen verfügte (ein Problem, mit dem Wissenschaftler noch heute häufig zu kämpfen haben). Fleming, der von seiner Entdeckung trotz der Probleme überzeugt war, veröffentlichte seine Studien 1929. Die medizinische Fachwelt hingegen schenkte der Veröffentlichung keinerlei Beachtung und hielt die heilsame Wirkung des Schimmelpilzes für ausgeschlossen. Die so wichtigen Arbeiten verschwanden zunächst im Archiv.

Deutsche Wissenschaftler, die sich insbesondere mit Farbstoffen beschäftigten, hatten schon früh entdeckt, dass einige dieser Substanzen eine antibiotische (= das Wachstum hemmende) Wirkung besitzen. Paul Ehrlich fand heraus, dass sich Methylenblau nicht nur zur bakteriologischen Diagnose eignet, sondern auch selbst nützliche medizinische Eigenschaften besitzt. Es wirkt keimtötend und war für Joseph Listers Forschungen zur Wundantisepsis von großer Bedeutung. Kongorot zeigte Wirkung bei der Behandlung von Diphterie und rheumatischen Entzündungen. Acringelb diente als antibakterieller Stoff, Mercurochrom konnte zur Desinfektion kleinerer Wunden eingesetzt werden und Gentiaviolett diente gegen Pilze und Bakterien.

1932 gelang dem Biochemiker Gerhard Domagk, Professor an der Universität Münster, der große Durchbruch. Er fand heraus, dass der orange Farbstoff Prontosil wirksam gegen die gefürchteten Streptokokkeninfektionen ist. Aus dem Farbstoff wurden bald die noch heute eingesetzten Sulfonamide entwickelt. Diese Substanzen haben eine starke antibakterielle Wirkung. Erstmalig konnten Kindbettfieber, Lepra und Lungenentzündung wirksam bekämpft werden. Diese Substanzen waren derart erfolgreich, dass Fleming zunächst den Sulfonamiden den Vorrang bei ihrer Erforschung einräumte. Bereits 1939 wurde er für diese Arbeiten mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. In seiner Dankesrede in Stockholm ließ Domagk den Satz fallen: "......dass es in Deutschland leichter ist, tausende von Menschenleben zu vernichten als eines zu erhalten." Nach seiner Rückkehr wurde er von der Gestapo verhaftet.

Die Entdeckung der Sulfonamide und ihrer Wirkung beflügelte die Suche nach Heilmitteln gegen die oft todbringenden Infektionskrankheiten von neuem. Der vor dem Nazi-Regime geflüchtete Biochemiker Ernst Boris Chain entdeckte bei seinen Nachforschungen die Arbeiten von Fleming erneut. Zusammen mit dem Pathologen Howard Florey, der an der Oxford-Universität tätig war, wurden die Arbeiten am Schimmelpilz 1939 wieder aufgenommen. Beide verfügten sowohl über die finanziellen Mittel als auch über ein großes Forschungsinstitut und konnten die Arbeiten gezielt vorantreiben. Das Problem der Instabilität des Extraktes und dessen Isolation, das Fleming wegen der mangelnden Ressourcen nicht lösen konnte, wurde gelöst und das erste reine Penicillin gewonnen. 1941 wurde der erste erfolgreiche Einsatz durch den Arzt Charles Fletcher dokumentiert.
Penicillin wurde während des zweiten Weltkrieges schnell zum "Wundermittel" bei stark infizierten Verwundungen. Das Mittel blieb zunächst den Soldaten vorbehalten. Australien war das erste Land, dass 1943 Penicillin auch für die Zivilbevölkerung freigab. Danach begann endgültig der weltweite Siegeszug. Penicillin nahm den Erregern von Meningitis, Tuberkulose, Pocken und Lungenentzündung und vielen anderen Infektionskrankheiten den Schrecken.

Flemings Entdeckung des Penicillins löste in aller Welt die systematische Suche nach anderen Antibiotika aus.
Bereits 1944 wurde das Streptomycin von S.A. Waksman als erstes Aminoglycosid aus Kulturfiltraten von Streptomyces griseus isoliert. Seitdem spielen Aminoglycoside eine wichtige Rolle bei der Bekämpfung insbesondere von Infektionen mit gramnegativen Erregern. Allerdings ist ihre Bedeutung in der Humanmedizin in den letzten Jahren aufgrund der Entwicklung der besser verträglichen Breitspektrum-Lactame zurückgegangen.

Fleming, Chain und Florey erhielten 1945 für ihre Arbeiten gemeinsam den Nobelpreis für Medizin und Physiologie. In seiner Rede sprach Fleming von einer "rein zufälligen" Verunreinigung. Dieser "Verunreinigung" sei Dank: seit 1944 wird Penicillin großtechnisch produziert und erfolgreich bei der Bekämpfung vieler Infektionskrankheiten eingesetzt.

Der Wirkmechanismus wurde erst 1957 von Joshua Lederberg geklärt. Durch ein einfaches Experiment wies er nach, dass Penicillin die Bildung der bakteriellen Zellwand verhindert. In einer Nährlösung, die stark salzhaltig war, konnten Bakterien trotz der Anwesenheit des Penicillins wachsen, bildeten jedoch keine Zellwand aus. Wurden die so gewonnenen Protoplasten ("nackte" Bakterien ohne Zellwand) von Lederberg in eine normale Nährlösung überführt, platzten diese, da ihnen der Schutz der Zellwand fehlte.

1965 beschrieben James Park und Jack Strominger den genauen Wirkmechanismus des Penicillins. Die Zellwand von Bakterien besteht aus langen Zuckerketten, die durch Eiweißbrücken vernetzt sind (Peptidoglykane). Diese Verbrückung wird durch das Enzym Glycopeptid-Transpeptidase katalysiert. Penicillin blockiert dieses Enzym, indem es sich als perfekte Imitation einer Eiweißbrücke anbietet und bringt somit die Zellwandproduktion von Bakterien zum erliegen.

Der allzu sorglose Umgang mit dem neuen Wundermittel sollte jedoch schon bald die Illusion eine Universalwaffe gegen alle Infektionskrankheiten zerstören, denn Bakterien sind außerordentlich anpassungsfähig und somit schnell Antibiotika resistent. Unverständlicherweise hat sich der verantwortungsvolle Umgang mit diesen Stoffen nicht durchgesetzt, obwohl er von elementarer Wichtigkeit ist. So wurde in Krankenhäusern die Asepsis (Das Prinzip des keimfreien Arbeitens) oftmals vernachlässigt, was teilweise zu einer Sepsis führte. In diesen Krankenhäusern zeigte sich durch den Anstieg der Krankenhausinfektionen mit antibiotika-resistenten Erregern, die außerdem ein verändertes Erregerspektrum vorweisen können (Hospitalismus) und kaum chemotherapeutisch zu bekämpfen sind, wie fatal sich vernachlässigte Hygiene auswirken kann.
Seit 1990 wächst das Problem sogenannter multiresistenter Erreger:

  • Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus (MRSA)
  • Vancomycin-intermediärer Staphylococcus aureus (VISA)
  • Vancomycin-resistente Enterokokken (VRE)

Nachdem die Krankenhäuser entdeckt haben, wie wichtig es ist, Antibiotika äußerst verantwortungsvoll zu verwenden, ist es wichtig, die Patienten über die richtige und sinnvolle Anwendung aufzuklären.
Oft werden Antibiotika von dem Patienten eigenmächtig abgesetzt, weil eine schnelle Besserung im Krankheitsverlauf eintritt. Bei Mikroorganismen, die nicht vollständig abgetötet werden, besteht die Gefahr, dass die überlebenden Bakterien eine Resistenz gegen das Antibiotikum ausbilden. Aus diesem Grunde ist es zwingend notwendig, eine vom Arzt verordnete Therapie mit diesen Wirkstoffen konsequent bis zum Ende durchzuführen.

Nachdem vor etwa 30 Jahren die letzte neue Antibiotikaklasse, die Chinolone, für die Humanmedizin verfügbar wurde, kann in naher Zukunft mit der Einführung von zwei neuen Klassen - Oxazolidinone und Everninomycine gerechnet werden. Diese scheinen praktisch keine Kreuzresistenzen zu den bisher verwendeten Antibiotika zu haben und könnten gegen einige der wichtigsten Problemkeime wirksam sein.

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