Mobbing am Arbeitsplatz

28.08.2003

(HF) Etwa 1,5 Millionen Arbeitnehmer erfahren täglich reales Mobbing, doch nur die wenigsten wissen warum, und was dagegen getan werden kann. Sie erleiden es, leisten in der Folge schlechtere Arbeit, Fehlzeiten häufen sich, längere Krankheiten folgen ebenso wie soziale Isolation, Verlust des Arbeitsplatzes, dauerhafte Erkrankungen unterschiedlichster Ausprägung, dauerhafte Erwerbsunfähigkeit; psychische Dauerschäden und Suizid sind keine Seltenheit.

Die wirtschaftlichen Schäden sind enorm, für das Opfer, den Betrieb und die Volkswirtschaft. Hier besonders bei den Sozialversicherungssystemen!
Das Deutsche Ärzteblatt schätzte in 12/01 die Kosten pro Patient und Jahr auf 25 - 75 TEURO und bezifferte die Gesamtkosten pro Jahr in Deutschland auf "mehrere Milliarden" EURO. Fall-Hochrechnungen ergaben Kosten von bis zu 750 TEURO pro Fall.
Weitere Erhebungen ergaben, dass etwa 44% der Mobbing-Opfer erkranken und davon die Hälfte länger als sechs Wochen (Uni Freiburg). Die Vielzahl der Krankheitsbilder verdeckt allerdings oft die Ursache. Immer noch ist Mobbing ein Tabu-Thema, das besonders von den Betrieben totgeschwiegen wird, viele Ärzte stellen auch heute noch mangels Kenntnis die falsche Diagnose - hier besonders im psychischen Bereich. Die Juristen meiden dieses Thema wegen der Problematik der Beweislage und der Rechtsunsicherheit sowohl in arbeitsrechtlicher als auch in strafrechtlicher Hinsicht.
Mobbing ist kein Modewort, sondern ein vorrangiges Problem in der Welt der Arbeit.
"Man wird doch wohl noch einen Scherz machen dürfen?" oder "unser Sensibelchen ist mal wieder zu empfindlich" und "Kritik wird man ja wohl noch äußern dürfen?" Aber wo sind die Grenzen?
Prof. Dr. Heinz Leymann leistete in den 80er Jahren eine umfassende Beschreibung und Systematisierung dieser unmenschlichen Verhaltensweise Mobbing, bei der Verhalten und Wiederholung gekoppelt sind: die feindselige Absicht des Täters, als feindselig empfundene Aktionen durch Kollegen und Vorgesetzte ("Es war nicht so gemeint" zählt hier nicht), häufiger anhaltender Psychoterror und schließlich die Viktimisierung der Zielperson (sie soll Opfer werden, dann sein: ausgestoßen und abgewertet). Nach Leymann ist Mobbing eine negative kommunikative Handlung, die zielgerichtet wiederholt und oft über einen langen Zeitraum ausgeübt wird (hierzu: www.leymann.se).
Es entsteht eine Täter/Opfer - Beziehung, die psychische und physische Gewalt beinhalten kann, z. B. "niemand hört zu", das bekannte "Schneiden" des Opfers, Gerüchte, das Absprechen von Kompetenz oder kollegialer Arbeitsweise, sich lustig machen, imitieren, das Opfer erhält kränkende oder sinnlose Aufgaben, keine oder zu viele, nicht der Qualifikation entsprechende Tätigkeiten, aber auch sexuelle Handgreiflichkeiten, körperliche Misshandlung und gesundheitsschädliche Arbeiten. (www.mobbing-am-arbeitsplatz.de)
Die unterschiedlichen Konfliktarten liest man am besten bei Hesse & Schrader. Hier wird sehr deutlich beschrieben, wo die Ursachen liegen können. Da die Aktionen immer vom Täter ausgehen, kann man schlussfolgern, dass dieser nicht konfliktfähig und kommunikationsfähig ist. Interessant ist hier der Tatbestand der "anderen" Wahrnehmung und die Beschreibung der Wahrnehmungsfilter. Das würde jedoch hier den Rahmen sprengen.
Sowohl bei Leymann, auch später sehr genau beschrieben bei Berkel verläuft der Konflikt zwischen Täter und Opfer in fünf Phasen, wobei deutlich wird, dass der Konfliktverlauf einem automatisierten Schema folgt. Leymann nennt ihn den "Prozess der Mythen". Hier nur so viel: ein latenter Konflikt bricht auf, dann aus, es folgen Machtübergriffe, dann Rechtsübergriffe und der verzweifelte Versuch der Abwehr, die allerdings die Ausgrenzung nur beschleunigt. Bereits in der ersten Phase nach Beginn des Mobbings treten bedingt durch den sozialen Stress psychosomatische Symptome, nach neueren Erkenntnissen aber auch bereits physiologische, organische Störungen auf (Darm-, Magenprobleme, Schlafstörungen etc.). Nach etwa einem halben Jahr, abhängig von der Intensität und Häufigkeit des Mobbings, diagnostiziert der Fachmann eine posttraumatische Belastungsstörung (PTSD - post traumatic stress disorder). Diese folgenschwere Traumatisierung tritt z. B. nach Unfällen, Kriegserlebnissen, Vergewaltigungen auf, also nach schockartigen Erlebnissen, die von den normalen psychischen Kräften des Betroffenen nicht mehr bewältigt werden. Die amerikanische Gesellschaft für Psychiatrie hat die Faktoren für ein PTSD sehr genau definiert.
Nach Dr. Michael Becker äußert sich dies Trauma in folgenden Symptomen: Ein- bzw. Durchschlafstörungen ( u.a. mit Alpträumen verknüpft), Müdigkeit, Schreckhaftigkeit, erhöhte Reaktionsbereitschaft bei Konfrontation, Unausgeglichenheit, vermehrte Reizbarkeit, Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen, Unfähigkeit, erniedrigte Toleranzschwelle sowie Gefühle der Hilflosigkeit, des Kontrollverlustes und der existentiellen Bedrohung u.v.a.m.
Bei Fortdauer der Mobbing-Aktionen stellt sich nach Becker eine generalisierte Angststörung ein, die das Verhalten des Opfers bestimmt und für das Opfer katastrophale Folgen hat. Es kommt zur "Lebensuntauglichkeit, teilweise gepaart mit situativen und objektbezogenen Ängsten" (Becker). Der Krankheitsverlauf verschlimmert sich weiter über die Dauer der Mobbingsituation. Eine Schätzung (95, Brinkmann) sagt, dass ca. 10-20 % aller Suizide in Schweden mit Mobbing im Zusammenhang stehen. Die Konsequenzen für das Opfer sind immer gleich. Isolation, Entlassung, fortlaufende Verletzung auch durch falsche Behandlung und falsche Arbeitsgerichtsurteile (unheilige Allianz zwischen Täter und Arbeitgeber), Abfindung (oder auch das nicht), Arbeitsunfähigkeiten, die immer länger dauern, Erwerbsunfähigkeit, Frührente, Zwangseinweisung in die Nerverklinik wg. Verwirrung oder Suizidgefahr. Ein Horrortrip.
Wenn Arbeitskollegen die Symptome kennen würden, die ein Gemobbter zeigt, würde ein solcher Tatbestand eher aufgedeckt werden können. Aber gerade hier versagen alle, besonders die Vorgesetzten, die übrigens in 35 % aller Fälle sogar die Täter sind. Absentismus, also größer werdende Fehlzeiten und die berühmte "Innere Kündigung" verschlechtern das Arbeitsergebnis des Opfers, Angst und Depression tun ein Übriges. Kopfschmerzen, Übelkeit, Rückenschmerzen und Bluthochdruck sind typische psychosomatische Erscheinungen. Auch Flucht in die Sucht wird "immer wieder gern genommen".

Professionelle Hilfe wird oft versprochen (besonders im Internet), aber oft verbirgt sich reine Geldschneiderei dahinter. Die Kette der Verletzungen reißt nicht ab: medizinische und gerichtliche "Fehlurteile" nehmen dem Opfer das letzte vielleicht noch vorhandene Selbstwertgefühl und die sogenannten "Helfer" nehmen dann auch noch das Geld.
Doch es muss nicht soweit kommen. Es gibt tatsächlich wirkungsvollen Schutz. Zunächst sollte jeder wissen, was Mobbing wirklich ist, wie es zu Tage tritt und was es für Folgen hat, jeder sollte wissen, dass das Opfer beliebig ist, d.h. es gibt kein "Mobbing-Opfer-Gen", keine wie auch immer geartete Veranlagung. Manche Psychiater reden das den Opfern gern ein. Jeder sollte wissen, dass der Täter über eine gehörige Portion krimineller Energie verfügt und diese aus den unterschiedlichsten Gründen fortlaufend einsetzt, er kennt die Spirale der Gewalt und setzt für sein Tun auch unwissende Kollegen ein. Der Täter ist ein Vergewaltiger im erweiterten Sinn. Viel zu langsam entschließt sich die Jurisprudenz, diesem Umstand Rechnung zu tragen, doch es gibt inzwischen wegweisende Aktivitäten. So wurde erst kürzlich die "Mithaftung" der Unternehmen bzw. der Vorgesetzten bei Mobbingfällen rechtlich abgesichert. Die ersten Urteile auf Schadenersatz gibt es auch schon und ein mutiger Thüringer Richter hat erstmals rechtliche Kriterien für Mobbing geschaffen. Standard sind sie leider noch nicht. Das Problem der Beweisbarkeit bleibt allerdings. Es ist auch heute noch nahezu unmöglich, von seinem Hausarzt ein entsprechendes Attest zu bekommen. Erst im Juli 2003 befasste sich z. B. der Kongress der Arbeitsmediziner intensiv mit dem Thema.
Gerichtsseits wird neben dem Attest immer eine Dokumentation über das Täterverhalten gefordert, aber welches Opfer führt schon Tagebuch? Das ist aber unerlässlich und also jedem anzuraten, der sich in einer solchen Situation wähnt. Zeugen wird das Opfer nur sehr schwer finden.
Das Mobbing-Tagebuch sollte neben den Aktionen des Täters und der Mittäter vor allem auch die eigene Arbeitsleistung dokumentieren, erhaltene Aufträge, die Art und Weise ihrer Erledigung, den beanspruchten Zeitrahmen und das Arbeitsergebnis - auch die Fehler(!) und ihre Beseitigung. Hier sind einfache Listen, die man bezogen auf seinen Arbeitsplatz und seine Aufgabe anfertigt, sehr hilfreich (Qualitätssicherung). Dafür sollte Beratung in Anspruch genommen werden. Wer das Gefühl hat, gemobbt zu werden, sollte mit Freunden und Bekannten darüber reden, um Feedback zu erhalten, ob er die Situation richtig einschätzt (Objektivierung). Die allgemein übliche Empfehlung, zunächst mit dem Täter zu sprechen, ist zwar richtig, aber selten erfolgreich, denn der Täter bestreitet grundsätzlich. Dagegen kann es sehr nützlich sein, den Täter wissen zu lassen, dass man eine Dokumentation aller Erlebnisse vornimmt, die Zeiträume, die Häufigkeit (zwei bis drei Vorfälle in der Woche sind ein fast sicheres Zeichen für eine Mobbingsituation!). Das Opfer benötigt in jedem Fall professionelle Hilfe im Betrieb und außerhalb: Betriebs- und Personalrat, Frauenbeauftragte und Vorgesetzte (sofern sie nicht die Täter sind), Mobbingberater (eventuell Mediator), Arzt, Psychologe und Rechtsanwalt sollten so früh wie möglich eingeschaltet werden - bevor das Kind im Brunnen liegt.
Ist der Konflikt schon weiter fortgeschritten, ist das direkte Gespräch mit dem Täter zu vermeiden, es verschlimmert nur. Die Arbeitsunfähigkeit kann zeitweilig schützen. Eine Strategie des Ertragens sollte das Opfer entwickeln, die sich gegen die eigene Resignation richtet, das Opfer mental stärkt und den Mut gibt, nicht aufzugeben. Sympathienetzwerke innerhalb der Firma können helfen, aber keine "Gegenfront". Hier ist Hilfe und Unterstützung unbedingt zu suchen, da sonst die Situation lebensbeherrschend wird, mit schlimmen Folgen für das Opfer. Allein schafft man das nicht.
Ein Wort noch zu der "schwierigen Person", die alle stört und mit der niemand "klar kommt". Ganz selten ist es wirklich die "Person", sondern das System. Die Fehler des Systems, des Büros, der Firma manifestieren sich tatsächlich in dieser Person, sie erfüllt damit die Funktion der Problemprojektion und dadurch wird verhindert, dass Defizite in der Kommunikation, der Organisationsstruktur oder der Führungsstruktur des Betriebes offenkundig werden. "Wenn wir den los wären, hätten wir kein Problem mehr". Kaum ist diese Person aber beseitigt (weggemobbt), wächst eine andere in die gleiche Rolle (Sündenbock!). Der nächste Mitarbeiter übernimmt zwangsläufig die "krankhaften Eigenschaften" des Systems: er dunkelt nach. Mobbing kann also auch ein Ergebnis tiefgreifender Probleme der Organisation sein. Wenn die Führungsriege diese Schwierigkeiten auf keinen Fall sehen und schon gar nicht ändern will, haben Gemobbte keine Chance. Dann bleibt nur noch eine gut vorbereitete Klage vor dem Arbeitsgericht und hier ist das Mobbing-Tagebuch unabdingbar.
Zur Erweiterung der Kenntnisse im medizinischen Bereich, besonders im psychoanalytischen empfehle ich zunächst neben Leymann Aufsätze von Dr. Baermayr, Coburg zu lesen.
Für Arbeitgeber mag der Hinweis dienen, dass es unbedingt eine betriebliche Mobbingvereinbarung geben sollte, die jeder Mitarbeiter unterschreiben muss. Falls eine solche Vereinbarung nicht vorhanden ist, sollte sie nun unter dem Aspekt der Mithaftung dringend gestaltet werden. Regelmäßige innerbetriebliche Informationsveranstaltungen zu diesem Thema sollten für jeden Unternehmer Pflichtübung werden. Auch daran lässt sich die soziale Verantwortung eines Unternehmers ablesen! Mitarbeiter mit krimineller Mobbing-Energie schaden auch dem Betrieb erheblich und Vorgesetzte, die Mobbing nicht verhindern, machen sich mitschuldig und haften dafür.

Die Täter sollten zu Außenseitern der Gesellschaft gemacht werden, nicht ihre Opfer.


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