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Gewöhnung ist alles? Insekten als Nahrung
10.06.2003
(MK) Insekten stellen für einen großen Teil der Menschheit eine wichtige Nahrungsquelle dar. Nur in Europa und
Nordamerika ist ihr Verzehr sehr ungewöhnlich. Warum nicht einmal ausprobieren, was für viele Millionen
Menschen völlig normal ist? Das Resultat ist in diesem Bericht nachzulesen.
Insekten werden überall gegessen
Der Großteil der tierischen Biomasse auf der Erde ist in den Wirbellosen konzentriert. Es wäre unvorteilhaft, wenn die
Spezies Homo sapiens diese Eiweißquelle nicht nutzen würde. In der Tat tut sie das: beispielsweise Insekten
spielen eine große Rolle auf den Speiseplänen vieler Menschen auf fast allen Kontinenten.
Insbesondere die Jugendformen (Larven, Maden) mit Ihrem hohen Fettanteil stellen eine besonders wertvolle Nahrung dar.
Unter heutigen Steinzeitkulturen ist der Verzehr von Insekten weit verbreitet, ein Indiz dafür, daß Menschen schon immer
auf diese Nahrungsquelle zurückgegriffen haben. In seßhaften Kulturen haben Insekten anscheinend an Attraktivität verloren.
Auch hier jedoch werden sie von vielen konsumiert, nicht zuletzt von ökonomisch oder gesellschaftlich Schwächeren.
Insekten finden sich aber auch in besonders edlen und teuren Speisen.
Der Genuß von Insekten ist heutzutage in Europa zwar unüblich, aber das war nicht immer so. Wie praktisch im gesamten
Rest der Welt wurden sie von den Menschen der Antike gegessen, wie Aristoteles und Plinius bezeugen. Es ist nach Kenntnis
des Autors nicht genau bekannt, wie es dazu kam, daß im heutigen Europa Insekten als Nahrung keine Rolle mehr spielen.
Diese Insekten werden vom Menschen gegessen (kein Anspruch auf Vollständigkeit):
Art | wird verzehrt in |
"Agavenwürmer" | Mexiko |
Larven von Anomala antigua ("Junikäfer") | Thailand |
Baumwanzen (Pentadomidae) | Mexiko |
Bockkäfer (Cerambycidae) | Südamerika (u.a. Peru) |
Cybister Tripuneta Tus ("Wasserkäfer") | Südchina |
Cyrtacanthacris tatarica (eine Grashüpferart) | Thailand |
Cystococcos echiniformis (eine australische Gallwespenart) | Australien |
Grillen (Gryllidae) und Maulswurfsgrillen (Gryllotalpae) | mehrere Länder in Asien |
Heuschrecken (Tettigoniidae) | viele Länder in Afrika, Asien, Südamerika, unter anderem Japan, Mexiko, Südafrika |
Honigameisen (Melophorus bagoti) | Australien |
Imbrasia belina ("Mopane-Wurm", Larve einer Mottenart) | Botswana |
"Jumiles" (eine Stinkkäferart) | Mexiko |
Lethocerus indica ("Große Wasserwanze") | Thailand |
Libellen (Odonata) | Südostasien (u.a. Indonesien) |
Macrotermes bellicosus (eine Termitenart) | Afrika (u.a. Uganda) |
Maldanidae-Larven (Bambusmotte) | Thailand |
Mücken (Culicidae, Cironomidae) | Südostafrika, Mexiko |
Polyrhachis (eine Ameisengattung) | China |
Larven von Rhynchophorus ferrungineus/bilineatus (Steinbockkäfer) | Papua-Neuguinea, Indonesien |
verschiedene Schmetterlingslarven (Stenopsyche grisipennis, Parastenopsyche sauteri, Hydropsycheotis brevilineata u.a.) | Japan (als sog. "Zaza-mushi") |
Puppen der Seidenspinner (Bombicidae, Bombyn mori) | China |
"Stink beetle" (eine Wanzenart) | Australien, Papua-Neuguinea |
Weberameisen (Oecophylla smaragdina) | Australien, Thailand |
Xyleutes leuchomochla ("Witchetty-Made") | Australien |
Zikaden (Cicadina) | Südostasien (u.a. Kambodscha) |
(Die deutschen Bezeichnungen sind teilweise zoologisch nicht korrekt, sondern ungefähre Übersetzungen aus
dem Englischen oder dem Spanischen (hier wurden die Namen in "" gesetzt).
Wir machen uns Mut: Insekten sind auch nicht ekliger als das, was man normalerweise ißt...
Ist es prinzipiell ekelhaft, Insekten zu essen, nur weil in Europa keine gegessen werden? Wohl kaum. Wer etwas genauer
hinsieht merkt, daß europäische Eßgewohnheiten nicht appetitlicher oder gar gesünder sind als die in anderen Teilen
der Welt. Was als "eklig" oder "schmackhaft" empfunden wird, entscheidet die Gewohnheit. Dies kann man leicht
demonstieren, indem man für den Mitteleuropäer Vertrautes und Unvertrautes gegenüberstellt:
Nicht jedermanns Sache sind ungewöhnliche Körperteile von Tieren. Das attraktivste Fleisch ist für den
Mitteleuropäer Muskelfleisch. Außereuropäische Sitten wie der Verzehr von Tieraugen oder Hühnerfüßen stößt auf
Unverständnis. Aber auch in Europa sind exotische Körperteile Bestandteil der Küche, zum Beispiel Innereien wie Leber,
Niere oder Lunge. Möglicherweise noch exotischer sind Gehirn (oft in Form von Cervelatwurst) oder Rinderzunge und Schweineschnauzen. Ebenfalls verbreitet ist die Sitte, das Blut eines Tieres zu verzehren (als Blutwurst), was in
mehreren Kulturkreisen kategorisch abgelehnt wird.
In der Regel werden keine rohen Tierprodukte verzehrt. Der Mitteleuropäer wendet sich mit Grausen ab, wenn
er von der thailändischen Sitte hört, rohes Affenhirn zu verspeisen. Und vergißt dabei völlig das für ihn normale
gehackte rohe Fleisch (Mett, Tartar), rohen Fisch (u.a. Matjeshering), Fischeier (eine besondere Delikatesse) oder
auch rohe Hühnereier (z.B. in Eierlikör und Tiramisu).
Auch die Form der Zubereitung spielt eine große Rolle in der Beurteilung der Nahrung. Wie schrecklich muten
dem Europäer Bananenbier (Pombe) und Hirsebier (Merissa) an, die in Afrika traditionellerweise durch das Kauen der
Grundstoffe hergestellt werden (dabei wird die Stärke aufgeschlossen). Teilweise wird der Speichel auch durch Spucken
hinzugefügt. In Vietnam gibt es eine populäre Sauce, die aus vergorenem Fisch und Meeresfrüchten besteht. In
Japan verwendet man Miso, eine Würzmasse aus verschimmeltem Getreide und Sojabohnenschrot. In ganz Ostasien schließlich
ist die Sojasauce verbreitet, ein Produkt aus vergorenen Sojabohnen. In Teilen Südostasiens findet man zudem angebrütete
Vogeleier, eine Mahlzeit für besondere Anlässe.
So schrecklich sich all das für den Europäer anhört: er bedient sich derselben Methoden und läßt Nahrung "alt" werden und
"verderben". Beispielsweise hat er ein Faible für fermentierte Pflanzen (Sauerkraut, saure Gurken) sowie altes,
abgehangenes Fleisch.
Asiaten sind bereits für frische Milch nicht zu begeistern. Um einiges schlimmer ist in ihren Augen
der Genuß verdorbener Milch in Form von saurer Sahne, Kefir, Joghurt, Käse oder gar verschimmeltem Käse.
Aber nichts kann doch ekelhafter sein als die in China sehr beliebten Nester von Schwalben zu essen, die immerhin aus dem
verhärteten Speichel der Vögel bestehen. Eine Ausscheidung eines Tieres: so etwas wird in Europa nicht gegessen.
Wenn man von Milch und Honig absieht. Insbesondere Waldhonig wird sogar von zwei Tieren ausgeschieden, bevor der Mensch
ihn zu sich nimmt, nämlich von der Blattlaus und anschließend von den Bienen.
Die Sitte, Tiere lebendig zu verspeisen, löst bei vielen besonderes Entsetzen aus. In Korea werden beispielsweise
frisch gefangene Kraken bei lebendigem Leib zerhackt. Die noch zappelnden Teile werden zusammen mit einer Sauce auf einem
Teller serviert. Die Europäer kennen aber ebenfalls den Verzehr lebender Tiere, z.B. frischer Austern oder in kochendes
Wasser geworfener sterbender Hummer.
Nicht zuletzt ist es Gewöhnungssache, welches Tier man verspeist. Muscheln, Frösche oder gar Pferde werden zwar
in Europa gegessen, aber längst nicht von jedem. Gänzlich verpönt sind dem Europäer Meerschweinchen (Nahrungsmittel in
Südamerika), und Raubtiere wie Hund (geschätzt in China) oder z.B. die Zibetkatze, die in Südchina gerade traurigen Ruhm
erworben hat als mutmaßlicher natürlicher Wirt des SARS-Virus. Andererseits gilt das vom Europäer geschätzte Schwein
z.B. in islamischen Ländern als nicht eßbar.
Es bleibt festzuhalten: eine große Vielfalt von Tieren dient dem Menschen in aller Welt als Nahrung. Unter anderem
Insekten.
Der Selbstversuch
Nachdem also klar ist, daß Essen aus Insekten ausschließlich aus Gründen mangelnder Gewöhnung ein Ekelgefühl auslöst, ist
der nächste Schritt konsequenterweise der, daß man sich Gewöhnung verschafft. Also wurde eine Mahlzeit mit Insekten geplant.
Der erste Schritt war natürlich der Erwerb von Insekten. Die Wahl fiel auf Zophoba-Larven. Zophoba morio sind in Amerika
beheimatete Verwandte des Schwarzkäfers. Ihre Larven sehen aus wie größere Versionen des Mehlwurms. Zwar werden Zophoba
selbst eher selten von Menschen gegessen, aber sie ähneln vielen Arten, die in großen Teilen der Welt als Nahrung dienen.
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Zophoba-Mahlzeit (Rezept siehe Text)
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Zophoba können als beliebte Futtertiere (insbesondere für Echsen) einfach in Tierhandlungen oder auf sogenannten
Insektenbörsen erworben werden.
Sie wurden wie folgt zubereitet:
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Die Zophobalarven kalt abwaschen, um sie zu säubern und ihre Agilität zu verringern. Anschließend die Larven durch
Überbrühen mit kochendem Wasser töten. In Öl braten mit zerkleinertem Knoblauch und Ingwer, anschließend etwas Sesamöl
und Sojasauce zugeben. Mit Salz und Pfeffer abschmecken. | |
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Insgesamt nahmen an der Mahlzeit vier Personen teil. Der Geschmack der gebratenen Insekten wurde von allen sehr
ähnlich beurteilt und scheint dem allgemeinen Urteil von Europäern zu entsprechen. Vermutlich aufgrund der Tatsache, daß
sie mit Haferflocken gefüttert worden waren, schmeckten die Larven im Inneren recht mehlig. Das Äußere hingegen
kann nicht als knusprig bezeichnet werden, dazu war es nicht hart genug. Da es dem Biß aber einigen Widerstand
entgegenbrachte, verlieh es der Mahlzeit eine gewisse Zähigkeit.
Das von den Versuchspersonen gezogene Fazit: es lohnt sich nicht, Insekten zu essen. Zumindest wenn es sich um Zophoba
handelt. Beim nächsten Mal werden es Heuschrecken oder Grillen sein.
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Der Autor beim Selbstversuch
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Quellen
- P. Menzel, F. D'Alusio: Men Eating Bugs. The Art and Science of Eating Insects, Ten speed Press 1998
- J. Isaacs: Bush Food. Nahrung und Pflanzenmedizin der Aboriginees, Könemann 2000
- G. v. Paczensky, A. Dünnebier: Kulturgeschichte des Essens und Trinkens, Orbis Verlag 1994
- H. Garms: Pflanzen und Tiere Europas. Ein Bestimmungsbuch, dtv 1969
- Edible Insects. Or, more than you ever wanted to know about eating bugs
- How to Use Insects as Food
- Insekten-Rezepte
- Unusual Thai Food
- Gaumenfreuden in Mexiko
Danksagung
Dank an svr für die Idee und die Zubereitung des Gerichts sowie für die zur Verfügung gestellte Literatur und unzählige (mehr oder weniger) kulinarische Tips.
Bildnachweis
alle Fotos: © Newsatelier (MK)
Hauptseite Kultur
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