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19.05.2004Folter(MF) Teil 1: Der Hexenhammer und die ModerneImmer wieder entflammt eine neue Debatte rund um das Thema Folter. Dabei hat die Geschichte gezeigt, dass, wenn Folter erst einmal erlaubt wird, nach und nach alle Dämme der Menschlichkeit brechen. Aber sind es nicht gerade diese Werte, durch die sich die westliche Gesellschaft definiert? Folter galt über Jahrhunderte als probates Mittel der Wahrheitsfindung und wird gerne mit dem Mittelalter verbunden. Dies ist geschichtlich jedoch nicht richtig. Die meisten Folterungen wurden zur Zeit der Bauernkriege, sowie im 16. und 17. Jahrhundert zur Verfolgung der Hexen angewendet. Als Grundlage der Hexenverfolgung galt der "Maleus Maleficarum" zu deutsch: "Hexenhammer", verfasst von den Dominikanern H. Institoris und J. Sprenger 1487. Zuvor gab es zwar schon Hexenverfolgungen, doch der Hexenhammer schuf ein Rahmenwerk, das anschließend nicht nur von der Inquisition sondern auch bei weltlichen Verfolgungen angewendet wurde. Der Titel des Werkes wurde mit Bedacht gewählt, denn er sollte sein Hauptanliegen unmissverständlich klar machen: Die Schuldigen sollten zerschmettert werden.
Bei der darauf folgenden Anhörung durften nur Belastungszeugen zugelassen werden. Verteidiger wurden ausgeschlossen. In dieser Anhörung wurden die Anklagen dargelegt (das Heraufbeschwören eines Gewitters, Vernichtung der Ernte durch Hagel, sowie Schadenszauber jeglicher Art oder monströse, unglaubliche Verbrechen). Danach sollten die Angeklagten der "peinlichen Befragung", also der Folter unterzogen werden. Durch die Folter sollten die Angeklagten gezwungen werden, ein Geständnis abzulegen. Schwieg der Gefangene, so wurde dies ebenfalls als Geständnis gewertet und ein Schuldspruch gefällt. Allerdings kamen diese Fälle nicht sehr oft vor, denn die Folter wurde so lange fortgesetzt, bis das Opfer Namen seiner Komplizen bekannt gab. Diese wurden dann ebenfalls inhaftiert und gefoltert bis auch sie weitere Namen nannten, zahllose Folgeprozesse folgten somit aus einem Prozess. Der anschließende Prozess lies die Schuld feststellen und die Strafe (Tod durch den Scheiterhaufen) festlegen. Viele wurden jedoch erst gar nicht verurteilt, da sie bereits während der Folter starben. Der Angeklagte wurde dann der weltlichen Gerichtsbarkeit übergeben, die das Urteil dann vollstreckte.
1631 verfasste der Jesuit Friederich Spee von Langenfeld sein Werk "Cautio Criminalis". In diesem Werk legte er logisch dar, dass jeder, der eines noch so absurden Verbrechens angeklagt sei, dieses unter der Folter zugeben würde. Sein logisches Fazit lautete: Folter diene nicht der Wahrheitsfindung, sondern Folter beweist immer nur die Schuld der Angeklagten. Doch erst mit dem Zeitalter der Aufklärung des 18. Jahrhunderts wurden Folter und Hexenwahn, der über drei Jahrhunderte so schrecklich gewütet hat, überwunden. 1784 forderte Kant auf die Frage "Was ist Aufklärung": "Habe den Mut dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!" Das "Dunkel des Aberglaubens und der Vorurteile" sollten mit dem "Licht der menschlichen Vernunft" vertrieben werden. Die Aufklärer schlossen sich zu "Lesegesellschaften" zusammen, die eigene Leihbibliotheken unterhielten. Menschenrechte wurden eingefordert, der Humanismus breitete sich aus. Die moderne Gesellschaft wurde gefordert und schließlich gegründet. Die Aufklärung, insbesondere der Humanismus wurden die Grundlage für unser heutiges, modernes Gesellschaftssystem des 21. Jahrhunderts. Teil 2: Parallelen
Um so unglaublicher ist es, wenn man sieht, dass seit dem 11. September 2002 sich die Logik des Hexenhammers breit macht, um dem "dämonischen" Phänomen des Terrors zu begegnen. Der Bedrohung durch den Terror wird so irrational begegnet wie damals der scheinbaren Gefahr durch die Hexen. Man nimmt bereitwillig in Kauf, auf Errungenschaften der Humanität zu verzichten.
Nach der Entrechtung der Gefangen hat das Pentagon im April 2003 bestimmte Verhörtechniken erlaubt. Leitende Offiziere von Guantanamo haben zugegeben, dass Schlafentzug zu diesen Methoden zählt. Bis zu drei Tagen Schlafentzug sind erlaubt. Zu den rund 20 genehmigten Praktiken gehört außerdem, die Gefangenen lauter Musik oder extrem grellem Licht, Hitze oder Kälte, auszusetzen. Man darf aber auch das andere Extrem anwenden: Ein totaler Sinnentzug (Verhinderung von Sinneswahrnehmungen) von bis zu drei Tagen und Isolationshaft bis zu 30 Tagen. Wie eine Kombination aus totaler Isolation mit Sinnentzug und danach Licht und Musik mit Schlafentzug wirken, sollte sich an dieser Stelle jeder selber ausmalen. Auch seien die Gefangen gezwungen worden, sich vollständig zu entkleiden. Sie nackt zu verhören ist ebenfalls erlaubt. Jemanden vier Stunden lang stehen zu lassen, gehört ebenfalls zu den vom Pentagon erlaubten Methoden. Die erzwungene Einnahme von schmerzhaften Positionen ist bis zu 45 min. erlaubt. Nahrung oder Aufenthaltsräume dürfen "manipuliert" werden. Wie diese Manipulation aussieht, ist nicht bekannt. Verhöre können schon mal 12 Stunden dauern, der Gang zur Toilette ist natürlich nicht erlaubt. Militärhunde dürfen zur Einflößung von Angst eingesetzt werden. Einige Verhörmethoden dürfen ausschließlich unter ärztlicher Beobachtung angewendet werden. Worum es sich bei den Praktiken dabei handelt, darüber schweigt sich das Pentagon aus. Das Pentagon betont, dass die "Verhörtechniken" rechtlich abgedeckt seien.
Und so werden denn auch konsequenter Weise derzeit Hinrichtungskammern auf Guantanamo errichtet, denn die Schuld steht fest und Geständnisse der Inhaftierten liegen sicherlich ebenfalls vor. Teil 3: Wenn der Damm erst einmal gebrochen ist Die Entrechtung der Gefangenen von Guantanamo war der erste Schritt in diese Richtung, die heute die Gemüter weltweit so erhitzt: Die Folterungen im Irak. Immer wieder wird betont, dass die Misshandlungen die Entgleisungen Einzelner seien, dass sie in keinster Weise systematisch erfolgen. Doch gibt es immer mehr Hinweise darauf, dass dies nicht stimmt, daß vielmehr ein System hinter den Misshandlungen steckt. Die Zeitung "Guardian" berichtete, unter Berufung auf einem ehemaligen Offizier einer Eliteeinheit, dass britische und amerikanische Soldaten Techniken erlernen, um bei einer Gefangennahme der Folter zu widerstehen. Der frühere Offizier berichtet, dass die Anweisung "R21 - Widerstand gegen Verhöre" im gemeinsamen Trainingszentrum im südengl. Ashfort entwickelt und unterrichtet wurde. Heute liegt dieses Zentrum im amerikanischen Stützpunkt Chicksands. Die Ausbildung R21 sollte jedoch nicht ausdrücklich die Folter lehren, sondern Soldaten trainieren, mit ihr umzugehen. Die Bilder, so der Offizier, zeigten alle Demütigungen, die man dort trainiert. Er erkannte alle Demütigungen und Tabubrüche wieder. Besonders den sexuellen Missbrauch von weiblichen und männlichen Gefangen erkenne er eindeutig. Ununterbrochene Nacktheit und das Verhüllen des Gesichts gehöre zum Trainingsalltag. Der Offizier betont, dass die Trainingseinheiten derart brutal sind, dass diese nie länger als 48 Stunden dauern dürfen. Des weiteren darf das Training nur unter psychologischer Aufsicht durchgeführt werden, denn selbst das Trainieren der Folter kann die "Schüler" in schwere Psychosen treiben. "Wer das Training R21 durchgestanden hat", so der Offizier, "der weiß, wie diese Techniken wirken und weiß auch, was er da macht". Somit wäre das im Tabuga-Bericht gezogene Fazit, dass "mangelnde Disziplin sowie eine unzureichende Ausbildung und Aufsicht" für den Missbrauch und die Folterungen an den irakischen Gefangenen ursächlich sind, ebenfalls in Frage gestellt. Nach einem Bericht der "Washington Post" ist der Generalmajor Geoffrey Miller, der 2003 noch das Gefängnis in Guantanamo leitete, auf Anweisung des Pentagons in den Irak geflogen. Er wollte das Gefängnis Abu Ghraib nach dem gleichen Konzept wie Guantanamo führen. Miller soll sich unzufrieden mit den Ergebnissen der Verhöre im Irak gezeigt haben und wollte deswegen Personal holen, das "weiß, wie man Verhöre führt". Auch die in einem bei einem Interview der CBS gemachten Aussagen von Lynndie England weisen auf ein System hin. Sie ist die Soldatin, deren Bilder um die ganze Welt gingen.
Aber damit noch nicht genug. Wie die Washington Post enthüllte, gibt es ein regelrechtes Netzwerk von Gefangenenlagern, in denen Tausende inhaftiert sind, willkürlich festgenommen und ohne Rechte. Aufgezählt werden Lager in Afghanistan, Irak und Katar, die Liste der bekannten Lager, über die aber niemand berichtet, ist lang und mittlerweile gibt es immer mehr Meldungen darüber, dass auch in Afghanistan Gefangene misshandelt werden.
Wie die "New York Times" berichtet, soll die Bundespolizei FBI ihre Agenten angewiesen haben, an Befragungen von Al Qaida-Verdächtigen durch die CIA nicht mehr teilzunehmen, weil die Methoden der Befragungen durch die CIA "unglaublich brutal" seien. Das FBI fürchtet, durch die Teilnahme an derlei Verhören kompromittiert zu werden, da solche Methoden zur Kriminalitätsbekämpfung verboten seien, so die Zeitung. So soll Chalid Sheich Mohammed so lange mit dem Kopf unter Wasser gehalten worden seien, bis er glaubte, Ertrinken zu müssen. Mohammed gilt als einer der Drahtzieher der Anschläge des 11. Septembers. Man habe den Druck auf Mohammed stufenweise erhöht, um Hinweise auf den Verbleib von Osama bin Laden zu bekommen. Geholfen hat es offensichtlich nicht, denn bin Laden ist bis heute nicht gefasst. Des weiteren wird den Inhaftierten gedroht, sie würden in Länder gebracht, wo man sie hinrichten würde. Ihnen würden Säcke über den Kopf gestülpt, mit Wasser übergossen, Nahrung und Licht entzogen. Alles Dinge, die man auch in Abu Ghraib praktizierte. Teil 4: Die Konsequenz Die Anschläge des 11. Septembers haben die Menschen zutiefst verunsichert. Der Terror soll die verhasste Gesellschaft des Westens zerstören - so sagt man. Tatsache ist, dass die schrittweise Entrechtung, die angewandte Folter genau dazu führt. Nicht die Terroristen zerstören derzeit die freiheitliche Grundordnung des Westens, sondern der Westen selbst zerstört sie, indem er Tausende von Menschen irgendwo hin verschleppt, sie zu rechtlosen Gefangen macht, sie entmenschlicht und damit jene Werte aufgibt, die die freie Gesellschaft definieren.
Im Krieg töten Menschen andere Menschen. Von Natur aus haben wir jedoch eine hohe Hemmschwelle, einen anderen zu töten. Deswegen wird der Feind nicht als Mensch wahrgenommen, sondern als eine Projektionsfläche des Bösen. "Wir sind die Guten, die die Bösen bekämpfen müssen". So wird aus dem Gegner ein Unmensch, ein Untermensch, etwas abgrundtief Böses, das man auch so behandeln darf. So wundert es nicht, wenn man den Gefangenen das Gesicht verhüllt, denn damit wird den Gefangenen das letzte Mittel der Verteidigung genommen: Er kann seinen Bütteln nicht mehr ins Gesicht sehen. Er wird zum gesichtslosen Objekt degradiert, die Schwelle zum Tabubruch wird noch weiter gesenkt. Hat man erst einmal getötet, so verliert sich eben auch das Tabu des Demütigens und auch des Folterns. Es scheint, als ob die von Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen in "Simplicius Simplicissimus" (1667/68) beschriebenen Gewaltexzesse nach wie vor zum Soldatenalltag gehören. Der Weltgemeinschaft wurde der Krieg gegen den Irak als "Befreiung von einem menschenverachtenden System" verkauft. Nun wird selbst zu diesen Mitteln gegriffen, sei es aus Lust am Foltern oder aber um Geständnisse zu erpressen. Die Regierung in Washington tut die Vorkommnisse im Irak als "unamerikanisches" Fehlverhalten einzelner ab. Wenn man sich aber das System anguckt, das errichtet wurde, sind die "Entgleisungen" der Soldaten, die im Irak und anderswo gefoltert haben, dann wirklich "unamerikanisch" oder sind sie nicht einfach eine logische Konsequenz dessen, was das System hergibt? Das Wort Folter wird bei den angewandten Verhören von Inhaftierten peinlichst vermieden. Statt dessen benutzt man den Begriff "Verhörtechniken". Aber wie soll man das bezeichnen, wenn ein Mensch bis zu drei Tage einen totalen Sinnentzug erfährt, dann mit grellem Licht und lauter Musik bestrahlt wird, ihm dabei bis zu drei Tagen der Schlaf entzogen wird, um dann in die lautlose Dunkelheit geschickt zu werden. Wenn dieser Mensch dann auch noch nackt verhört wird, von Hunden bedroht wird, wie soll man solche Verhörpraktiken bezeichnen, wenn nicht mit dem Begriff Folter? Wenn wir auch weiterhin eine freie Gesellschaft bleiben wollen, dann dürfen wir uns nicht durch die freiwillige Aufgabe dessen, was eine humane Gesellschaft ausmacht, selbst zerstören. Wir müssen endlich anfangen die Dinge beim Namen zu nennen. Folter bleibt Folter und wird auch durch die Bezeichnung "Verhörtechniken" nicht besser. Es gibt auch keine "leichte Folter". Wenn man erst einmal damit anfängt, so gibt es kein Halten mehr. Hat man erst einmal den Respekt vor den Menschen verloren, so wird die Folter immer brutaler, Verhöre eskalieren. Mittlerweile weiß jeder, dass ein Mensch unter der Folter alles zugibt, was man von ihm wissen will, wenn er nichts weiß, erfindet er etwas, nur um der Tortur ein Ende zu machen. Unter der Folter kann man alles finden nur eines nicht: Die Wahrheit. Es ist erschreckend festzustellen, wie bereitwillig man der perversen Logik des Hexenhammers folgen und jegliche Logik, wie sie von Spee und später durch Kant gelehrt wurde, über Bord werfen will. Dabei werden die Ängste der Menschen vor neuen terroristischen Angriffen manipuliert, um den neuen "Terroristenhammer" durchzusetzen. Wie konnte es nur soweit kommen? Diskutieren Sie über dieses Thema im newsatelier-Forum.
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