Nachklang - Impressionen eines Konzerts des Giora-Feidman-Quartetts

11.05.2003

(HN) Am Freitagabend ist die Kirche St. Jacobi in Sangerhausen bis auf den letzten Platz gefüllt. Im Mittelgang sind Klappstühle zusätzlich aufgestellt, um allen Besuchern einen Sitzplatz bieten zu können. Die Menschen warten auf Giora Feidman, den "King of Klezmer", der ein Konzert geben wird. Das Licht erlischt, nur noch die Bühne, auf der drei Musiker mit Bandoneon, Kontrabass und Klassikgitarre Platz genommen haben, ist erleuchtet. Vom Ende des Mittelgangs erklingt ganz zart der Klang einer Klarinette. Ein freundlich dreinschauender Herr geht langsam auf die Bühne zu, dabei auf der Klarinette spielend. Es ist Giora Feidman, der so ein Konzert beginnt, dass man so schnell nicht vergessen wird.

Am Anfang steht Klezmer. Für alle, die nicht wissen, was Klezmer ist, hier der Versuch einer Definition. Das Wort Klezmer ist entstanden aus den aramäischen Wortstämmen "Kli" und "Zemer" und bedeutet ursprünglich "der Mensch macht sich zum Überbringer des Liedes" (H. Eisel). Heute bezeichnet Klezmer einen Musikstil und den Musiker, der diese Musik macht. Klezmer ist im Ursprung die Musik (ost)europäischer Juden, dargeboten auf Festen aller Art von umherziehenden Musikern, den Klezmorim. Klezmermusik wurde von allen Kulturen der Welt beeinflusst, und sie hat alle Kulturen der Welt beeinflusst. Die Ausprägungen reichen von den traditionellen Formen bis zur musikalischen Synthese mit Jazz (Helmut Eisel & JEM), Rock (Klezmatics) und anderen Musikrichtungen. "Klezmer-Musik ist Musik, die tanzt, singt, die Freude und Trauer des Lebens zum Ausdruck bringt. Eine Musik, so fruchtbar und vielfältig wie die osteuropäische jiddische Kultur, aus der sie entstanden ist. Sie ist ein Spiegel, der den Einfluss rumänischer, ukrainischer, polnischer, russischer, ungarischer, griechischer und türkischer Sensibilität auf die jüdische Imagination wiedererkennen lässt." (Haskala) Klezmermusik wurde zu einer Weltsprache der Seele.

Vielleicht noch ein Wort zu Feidman: Giora Feidman, wurde 1936 in Buenos Aires geboren. Sein Vater, Leo Feidman, war auch Gioras erster Lehrer und hat ihn musikalisch ganz entscheidend geformt. Der junge Giora wuchs mit den Tango- und Klezmer-Traditionen seines Heimatlandes und dessen Kultur auf. Dem Wunsch seines Vaters entsprechend, sollte Giora Feidman aber auch klassische Musik studieren. Bereits mit 20 Jahren gelangte er zum Israel Philharmonic Orchestra, dem er insgesamt 18 Jahre lang angehörte. Nach vielen internationalen Erfolgen spielte er u.a. 1984 die Hauptrolle in Peter Zadeks Produktion zu Joshua Sobols "Ghetto", das in Berlin zum Stück des Jahres gewählt wurde. Die erste Solo-Tournee bestritt er 1985 mit herausragendem Erfolg. Seitdem spielt der heute in New York lebende Klarinettist regelmäßig vor ausverkauften Sälen in Deutschland. Er spielte auch zum Beispiel in der Oper "Der Rattenfänger" von Michael Ende im Dortmunder Opernhaus die Titelrolle. Viele weitere Künstler wie Roberto Pansera, J. M. Jarre, Leonard Bernstein, Zubin Metha haben mit Giora Feidman gearbeitet oder für ihn komponiert. Der "Klezmer"-Musik. Feidmans ebenso technisch-virtuoses wie emotionales Klarinettenspiel sind in der Musikwelt einzigartig So ist nur zu gut zu verstehen, daß Steven Spielberg in seinem Film "Schindlers Liste" Feidman bat, seinen Teil zur Filmmusik beizutragen. Die Welt seiner Musik kennt weder Grenzen zwischen Musikstilen noch Grenzen zwischen den Völkern. Dem Juden Feidman ist es so zum Beispiel eine Selbstverständlichkeit, mit dem Palästinenser Mawasii aufzutreten.

Feidmans Konzert steht unter dem Motto "From Klezmer to Piazzolla". Und so erfüllen Tangoklänge im weiteren Verlauf den Kirchensaal. Die südamerikanische Lebensfreude, die ganze Sinnlichkeit des Tango ist förmlich zu greifen. Feidman lässt die Klarinette jubeln, lachen, weinen, klagen. Zwischen denn einzelnen Stücken minutenlanger Beifall des begeisterten Publikums. Am Ende des ersten Teils ein Solo von Aquiles Baez auf der Klassikgitarre, das einem einen Schauer über den Rücken jagt.

Und eine besinnliche Bemerkung Feidmans: Es sei doch ein wunderbares Erlebnis, das in einer evangelischen Kirche Deutsche und Juden miteinander Musik genießen.

Nach der Pause zeigt dann Ken Filialo, was ein Kontrabass hergeben kann. Auch Raul Jaurena gibt ein Solo auf dem Bandoneon. Feidman meint, er und seine Ensemblemitglieder hätten die Musik mit der Muttermilch eingesogen. Diese mit der Muttermilch aufgenommene Musik kommt in wunderbarer Weise rüber und verzaubert die Zuhörer.

Der zweite Teil des Konzerts steht im Zeichen der Musik von Piazzolla, dem genialen Bandoneonisten.

Zum Schluss bringt Feidman ein israelisches und ein palästinensisches Lied, die er zu einem Stück verwoben hat. Er will damit für ein friedliches Miteinander im nahen Osten werben.

Als Fazit ein Wort von Leonard Bernstein, das alles sagt: "Er überbrückt viele Klüfte zwischen den Generationen, Kulturen und sozialen Unterschieden. Und er tut all dies mit musikalischer Vollendung. Lang lebe Giora, seine Klarinette und seine Soul Music!"

 

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