Plastikflaschen und Konservendosen unter neuem Verdacht

Studie zeigt erbgutschädigende Wirkung von Bisphenol A

22.08.2003

(MS) Bereits vor einiger Zeit wurde vor Plastikflaschen aus Polycarbonat gewarnt. Diese finden besonders als Systemflaschen für Haushaltsgeräte zur Herstellung von kohlesäurehaltigem Wasser und als Babyflaschen Anwendung. Innenbeschichtungen von Konser- vendosen und 'Tupperware' sowie spezielle Kunststoffbehälter für Mikrowellengeräte enthalten ebenfalls Bisphenol A. Auch in Zahnfüllungen kommt die Substanz vor. Bereits im September 2002 warnte das Umweltbundesamt (UBA) vor dem Einsatz von Bisphenol A (BPA), einer in Kunststoffen weit verbreiteten Chemikalie und empfahl auf Flaschen aus Polypropylen, Nylon oder Glas auszuweichen. Jetzt zeigt eine neue Studie, dass BPA möglicherweise viel gefährlicher ist, als bisher angenommen wurde.

Das UBA hatte schon vor drei Jahren allgemein zur Vorsicht geraten. Es könnte einen Zusammenhang zwischen der hormonellen Wirkungen von Chemikalien wie Bisphenol auf den Menschen und der nachlassenden Spermienqualität von Männern geben. "Die vorliegenden Forschungsergebnisse geben Anlass zur Besorgnis. Das Thema muss ernst genommen und seriös erforscht werden", sagte UBA-Präsident Andreas Troge damals.

BPA hat eine ähnliche chemische Struktur wie das Hormon Östrogen und es besteht der Verdacht, dass es im Organismus von Säugetieren Östrogen substituiert und damit schädigend wirkt.

Der Lebensmittelausschuss der EU empfahl vor mehreren Jahren gleichwohl, in Lebensmitteln einen Grenzwert von 1 Milligramm Bisphenol pro Kilogramm festzulegen. Interessanterweise geht der Ausschuss nicht von einer erbgutschädigenden Wirkung von BPA [1] aus und beruft sich dabei u. a. auf eine Studie der Shell International Chemicals Limited, London aus dem Jahre 1999 und eine Studie der Deutschen Chemischen Gesellschaft, deren Präsident  Prof. Dr. Fred Robert Heiker ist, Leiter der Konzernentwicklung bei der Bayer AG, die  weltweit der größte Hersteller von BPA, einem Milliardengeschäft,  ist und allein in Deutschland 410.000 Tonnen jährlich davon absetzt.

Einen gesetzlichen Grenzwert gibt es in Deutschland nicht.

In Laborversuchen hatte sich die Chemikalie gelöst und gelangt somit in die Nahrung. Unabhängige Studien [2] sagen Bisphenol A nach, dass dieses auch bei geringen Dosen krebserregende, östrogene und erbgutschädigende Wirkungen haben soll. Von den Verbänden der chemischen Industrie wird dies vehement bestritten. Dieselbe Industrie, die zur Erprobung ihrer humanpharmazeutischen Produkte Tierversuche für unabdingbar hält, streitet in diesem Zusammenhang die Übertragbarkeit von Ergebnissen aus Tierversuchen auf den Menschen ab. Über BPA ist mittlerweile ein wilder Streit ausgebrochen. Kaum wird eine unabhängige Studie veröffentlicht, in der die Bedenklichkeit von BPA beschrieben wird, folgt eine industriefinanzierte Studie, die das Gegenteil behauptet oder industrieabhängige Wissenschaftler versuchen die Studien ihrer freien Kollegen zu diskreditieren oder die Ergebnisse als singulär und nicht reproduzierbar darzustellen.

Eine kürzlich veröffentlichte Arbeit von Patricia A. Hunt, Genforscherin an der Case Western Reverse University, Cleveland, Ohio [3] zeigt auf,  dass im Versuch bei Mäusen eine erbgutschädigende Wirkung selbst bei sehr geringen Dosen von Bisphenol A nachgewiesen werden konnte.

Dabei kamen die Wissenschaftler zufällig auf diese Entdeckung. Bei weiblichen Mäusen zeigte sich eine zunächst unerklärliche Veränderung der Chromosonen der Eizellen (meiotische Aneuploidie). Als Ursache vermutete man Beschädigungen der Kunststoffkäfige und Trinkflaschen der Mäuse, die dadurch BPA aufgenommen hatten. Daraufhin wurden seit 1998 umfangreiche Versuche an Mäusen durchgeführt, die aufgezeigt haben, dass selbst geringe und nur kurzzeitige Dosen von BPA eine erbgutschädigende Wirkung zeigen, die über Generationen weiter gegeben werden können.

Hierbei handelte es sich um Dosen von 20 Mikrogramm je Kilogramm (ppb) des Körpergewichtes der Tiere.

"Vergleichbare Schädigungen könnten beim Menschen Fehlgeburten und Defekte wie z. B. das Down-Syndrom hervorrufen", so Patricia Hunt. Eine deutsche Forschergruppe am Benjamin-Franklin-Center in Berlin hat im Blut von Schwangeren und menschlichen Föten im Mittel BPA-Konzentrationen von 3 - 12 Mikrogramm je Kilogramm (ppb) entdeckt [4]. In einem Fall wurden im Plazenta-Gewebe 104,9 ppb gemessen. Der entsprechende von der EU empfohlene Grenzwert beträgt 10  Mikrogramm Bisphenol pro Kilogramm Körpergewicht (10 ppb). Dies ist besonders besorgniserregend, da von estrogenen Substanzen bekannt ist, dass ihre pränatale Schädlichkeit besonders hoch ist.

In der Fachwelt ist die Studie von Hunt mit großer Aufmerksamkeit aufgenommen worden. Martin Gehring vom Institut für Abfallwirtschaft und Altlasten der TU Dresden sagte newsatelier zu dem Thema: "Für mich stellt sich auf jeden Fall auch die Frage, ob BPA damit nicht nur zu den endokrinen [5] Schadstoffen sondern auch zu den erbgut- oder reproduktionsschädigenden gehört, also in die juristisch äußerst bedeutsame Gruppe der CMR-Stoffe [6]. In dieser Liste wird es bis jetzt nicht geführt."

Bisphenol A wird durch Erwärmung und durch Reinigungsmittel aus den Ursprungskunststoffen Polycarbonat und Epoxidharz gelöst, wie auch aus dem Datenblatt der Bayer AG zu entnehmen ist, das ausdrücklich auf die Gefahr hinweist, dass vor allem aufgetrocknete Rückstände von Reinigungsmitteln das Material anlösen. Damit nicht genug, in der selben Quelle wird angegeben, dass Polycarbonat nicht einmal gegen Fencheltee und Früchtetees chemisch beständig ist und angelöst wird [7].

Besonders kritisch ist auch die Verwendung von Mehrwegmilchflaschen aus Polycarbonat zu sehen, die von Bayer propagiert werden [8]. Immerhin hat eine weitere Studie im In-Vitro-Versuch gezeigt, dass bereits durch Wasser BPA aus Polycarbonat in Zellen migriert wird und dadurch im Versuch menschliche Brustkrebszellen entstanden.[9] 

BfR sieht keinen Grund für Neubewertung

Das Bundesamt für Risikobewertung, kurz BfR, in Berlin, dem newsatelier Anfang April die Studie von Hunt zur Verfügung gestellt hat, beruft sich in einer Stellungnahme [10] auf eine vorhergehende Studie, die bei zehntausend mal höheren Dosen keine Zellveränderungen im Knochenmark der Versuchstiere fand und betrachtet Hunt's Ergebnisse als singulär. Gleichwohl äußert sich das Amt besorgt über das Ergebnis.

Innerhalb der EU wird zur Zeit eine Neubewertung des Risikos von BPA vorgenommen. Inoffiziell ist dort zu hören, dass ein totales Verbot des Stoffes diskutiert wird, zumindest wird ein Verbot beim Einsatz für Nahrungsmittelverpackungen und Gegenständen, die mit Lebensmitteln in Berührung kommen in Erwägung gezogen.

Unsere Tipps:

  • Keine Flaschen aus Polycarbonat benutzen. Man erkennt diese an dem  Zeichen 'PC', das auf der Flasche zu finden sein sollte.
     
  • In der Mikrowelle möglichst Behälter aus hitzefestem Glas benutzen.
     
  • Auf keinen Fall Konserven (wenn man sie überhaupt einkauft) erwärmen, sondern immer den Inhalt herausnehmen und in einem geeigneten Gefäß zubereiten. Dies gilt vor allem auch für Fertiggerichte, die in angeblich mikrowellengeeigneten Kunststoffbehältern angeboten werden.
     
  • Möglichst auf Getränkedosen verzichten, auch deren Innenbeschichtung enthält BPA.
     
  • Trinken Sie möglichst kein Wasser aus den immer häufiger anzutreffenden Wasserspendern, neben der kürzlich festgestellten häufigen Verkeimung der Geräte bestehen die Wasserbehälter meist aus Polycarbonat und enthalten Bisphenol A. Insbesondere die lange Verbleibdauer des Wassers  (z.T. mehrere Monate) ist bedenklich.

Ähnliche Historie bei DEHP

DEHP, ein Weichmacher, der vor allem in PVC-Produkten Anwendung findet, ist im Alltag überaus häufig anzutreffen, z.B. in Shampooflaschen, Autoschläuchen, Bekleidung, Spielzeug, Lebensmittelverpackungen oder Kosmetika. Aufgrund seiner physikalischen Eigenschaften kann sich DEHP beim Kontakt mit Flüssigkeiten oder Fetten aus Kunststoffen lösen bzw. ausgasen und damit direkt an den Verbraucher gelangen oder in die Innenraumluft übergehen. Der Wissenschaftlichen Lebensmittelausschuss der EU legte eine tolerierbare täglichen Aufnahmemenge von 50 µg/kg KG/Tag fest, bei der keine Gesundheitsschäden zu erwarten sind. Die tatsächliche Aufnahmemenge wird auf 12 Mikrogramm pro Kilogramm Körpergewicht und Tag (µg/kg KG/Tag) geschätzt. Hierbei wurde der Aufnahmeweg über Lebensmittel nicht berücksichtigt.

In einer am 15.8.2003 veröffentlichen Meldung schlägt das BfR nun aufgrund einer Studie aus Erlangen vom November 2002 Alarm [11,12]. Anhand von Urinuntersuchungen wurde dort festgestellt, dass bei einer Vielzahl der Probanden die tägliche Aufnahmemenge weit über dem empfohlenen Wert liegt. Es wurden Mengen von bis zu 166 µg/kg KG/Tag ermittelt.

Das BfR fordert von den entsprechenden EU-Stellen umgehende Maßnahmen zur Feststellung über den Ursprung der etwa zehnmal höheren als bisher angenommenen Werte.

Allein in Deutschland werden jährlich rund 250.000 Tonnen DEHP produziert.

Fazit

Sowohl BPA als auch DEHP zählen, in diesem Punkt sind die Industrie und unabhängige Wissenschaftler sich einig, zu den wenigen Hundert am besten untersuchten Substanzen der Polymerchemie. Beide Stoffe stehen seit langem unter dem Verdacht, ein hohes Gesundheitsrisiko auch bei geringsten Aufnahmemengen für den Menschen darzustellen. Selbst die Industrie reagierte aufgeregt auf die Arbeit von Hunt. Sie sagt ihr nach, sich nicht an gängige wissenschaftliche Standards gehalten zu haben und fordert weitere Studien, eine Argumentation, die vom BfR prompt fast wortgleich übernommen wurde. Ein Sprecher vom Verband der kunststofferzeugenden Industrie (VKE) räumt jedoch ein, dass die Ergebnisse überraschend seien und eine neue Diskussion in Gang gebracht haben.

Stringente gesetzliche Regelungen für Schadstoffe im Privatbereich sind ohnehin weitgehend unbekannt, wie das Beispiel des Insektizides Lindan in Holzschutzmitteln, einer Substanz von höchster Toxizität in den siebziger Jahren zeigte. [13]

"Es gibt neben BPA viele Tausende von Stoffen, die weit weniger oder bislang nicht untersucht worden sind und von denen niemand weiß, welche Wirkungen diese haben", so Gilbert Schönfelder vom Benjamin-Franklin-Center in einem Pressebericht.

In Japan sind Babyflaschen aus Polycarbonat seit zwei Jahren verboten. Auf EU-Ebene wird man wohl noch lange auf entsprechende Schritte warten dürfen. Immerhin gehört BPA zu den zehn meist produzierten Kunststoff- bestandteilen innerhalb der EU. Klar ist, dass es weiterer Studien bedarf, um Hunt’s Ergebnisse zu verifizieren. Bislang jedoch wurde kein derartiges Projekt in Angriff genommen.

Quellen:

  1. http://europa.eu.int/comm/food/fs/sc/scf/out128_en.pdf
  2. F. S. vom Saal et al. (1998), Toxicol. Ind. Health, 14 (1-2), 239-260
    S. C. Nagel et al. (1997), Environ. Health Perspect., 105 (1), 70-76
    K. L. Howdeshell et al. (1999), Nature, 401, 763-764
    P. Palanza et al. (2002), Environ. Health Perspect., 110 Suppl. 3, 415 - 422
    B. S. Rubin et al. (2001), Environ. Health Perspect., 109/7, 675 - 679, siehe auch den Review von C. M. Markey et al. in Metzler, M. (ed.) (2001): Endocrine Disruptors. Part I. Handbook of Environmental Chemistry, Vol. 3 L, ed. by O. Hutzinger, New York: Springer, 129 - 153 M. Sakaue et al. (2001), J. Occupational Health, 43, 185-190
  3. Bisphenol A Exposure Causes Meiotic Aneuploidy in the Female Mouse,
    Patricia Hunt et al., Current Biology, Vol. 13,  546-553  (2003)
    http://www.anticolic.com/BisphenolADocuments/Hunt.pdf (Auszug)
  4. http://ehpnet1.niehs.nih.gov/docs/2002/110pA703-A707schonfelder/abs tract.html
  5. endokrin = in den Blutkreislauf  (im engeren Sinn  Hormone) absondernd
  6. CMR-Stoffe = carzinogene, mutagene oder reproduktionstoxische Stoffe
  7. Chemische Beständigkeit von Polycarbonat (Datenblatt der Bayer AG):
    http://plastics.bayer.de/pdf/A0082DE.PDF
  8. Bayer Werbung, enthält u. a. einige Anwender von Polycarbonatflaschen:
    http://plastics.bayer.de/pdf/C99116DE.PDF
  9. Environ. Health Perspect., published online Feb. 5
  10. http://www.bfr.bund.de/cms/media.php/83/erbgutveraenderungen_durc h_bisphenol_a.pdf
  11. http://www.bfr.bund.de/sixcms/media.php/70/taegliche_aufnahme_von_ dethylhexylphthalat.pdf
  12. http://www.scientificjournals.com/sj/php/sjAbstract.php?ArtikelId=5686
  13. http://archiv.greenpeace.de/GP_DOK_3P/CHLOR/SEITEN/C03HI16I.HTM
     


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