18.10.2004

Hartz IV geht in die falsche Richtung

(VS) Leistungsprinzip obsolet

Ökonomen befassen sich oft mit dem Produktionsbereich einer Volkswirtschaft und versuchen, diesen optimal zu gestalten. Vernachlässigt wird dabei die Verteilung der Güter mit dem Hinweis, dies sei Aufgabe der Politik. Schon Adam Smith schrieb lange vor seiner "Wealth of Nations" die "Theory of Moral Sentiments" und wies damit auf die Bedeutung der Verteilung hin. Tatsächlich gehört die Güterverteilung inhärent zur Aufgabe der Ökonomie und wird dabei der politischen Ökonomie zugeordnet.
Die Verteilung von Gütern obliegt dem Werturteil, denn es ist zunächst zu klären, ob und wie diese zu verteilen sind. Die Ökonomie hat sich dieser Fragen angenommen in dem Bereich der Wohlfahrtsökonomie. Im heutigen Wohlfahrtsstaat am Beispiel der BR Deutschland wird bei der Verteilung unterschieden in Leistungs- vs. Bedarfsprinzip. Vordringlich soll hier die Güterverteilung nach dem Leistungsprinzip stattfinden, indem der, der zur Erstellung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) leistend beiträgt, auch dementsprechend einen Anteil daran erhält. Erst nachrangig wird dann danach verteilt, wer einen entsprechenden Bedarf hat, den er nicht über seine Leistungskraft befrieden kann, und er erhält Transferleistungen, um ein menschenwürdiges Dasein führen zu können. Deutlich ist, dass das Leistungsprinzip vor dem Bedarfsprinzip zur Verteilung der Güter herangezogen wird. Ausgehend vielleicht von Carl Menger wird hier implizit die Knappheit der Güter unterstellt.
Von dieser Knappheit der Güter kann angesichts eines Bruttoinlandsproduktes der BR Deutschland von annähernd zwei Billionen Euro jährlich nicht mehr ausgegangen werden. Die BR Deutschland produziert damit ca. sieben bis acht von Hundert des Bruttoweltinlandsproduktes mit einer Bevölkerung von ca. 82 Millionen Menschen, von denen ca. 50% am Arbeitsprozess teilnehmen, wobei hiervon ständig ca. vier bis viereinhalb Millionen Arbeitskräfte ohne Beschäftigung sind. Seit dem sog. Wirtschaftswunder in den 50er und 60er Jahren des letzten Jahrhunderts hat diese Arbeitslosigkeit pro Jahrzehnt um eine Million zugenommen; es ist abzusehen, dass diese Tendenz im gegenwärtigen Zeitraum fortläuft.
Die Begründung für dieses Phänomen u.a. ist, dass z.B. in der zweiten Hälfte der 90er Jahre 1,3% - 1,7% aller Arbeitsplätze pro Jahr durch technischen Fortschritt wegrationalisiert wurden. Bisher ist es der Politik gelungen, dieses Wegfallen von Arbeitsplätzen durch Wirtschaftswachstum zu kompensieren. Entlang der wirtschaftlichen Entwicklung entstanden so Arbeitsplätze höherer Qualität vornehmlich im sog. tertiären, also Dienstleistungssektor. Hierdurch entstand in den letzten Jahrzehnten eine deutsche Wirtschaft, in der nur noch ca. zwei bis drei Millionen Arbeitsnehmer in der Industrie zur reinen Produktion von Sachgütern benötigt werden; alle anderen beschäftigen sich in hiervon abgeleiteten Bereichen wie z.B. der Versicherungsbranche, tragen also nicht zur materiellen Güterversorgung der Bevölkerung bei. Es ist fraglich, wie lange es der Politik noch gelingen wird, Menschen unnötig zu beschäftigen nur, weil dies zum Leben zu gehören hat. Begründet wird dies mit statistischen Größen, die scheinbar etwas aussagen, in Wirklichkeit jedoch nicht konkret sind. Dahinter steckt die Annahme, dass ein Arbeitsplatz alle persönlichen und kollektiven Probleme löse und so zu Wohlfahrtssteigerung führe.
Angesichts der Tatsache, dass Leistung im herkömmlichen Sinne für die Menschen der BR Deutschland progredient nötig ist, stellt sich die Überlegung, ob nicht das Bedarfsprinzip zur Verteilung der Güter stärker in den Vordergrund treten sollte, insbesondere um dem eigentlichen Interesse des Staates, der maximalen Wohlfahrt seiner Bürger, näher zu kommen. Ein Weg hierzu wäre die Versorgung der Kinder am Leitfaden der sozialhilfebedürftigen Kinder. Der Staat kann die grundlegende Versorgung auf einem guten Niveau gewährleisten z.B. durch Transferzahlungen an Eltern dergestalt, dass es den Kindern altersgemäß an nichts mangelt; keinerlei Ausschluß aus dem Konsum aus monetären Gründen muß für alle bis zum Erwachsenenalter gewährleistet sein. Eltern haben grundsätzlich nur einen Sockelbetrag hierzu beizutragen, z.B. 200 Euro pro Kind. Somit ist den Eltern eine große Erleichterung erbracht, zugleich eine Wohlfahrtserhöhung mit Synergieeffekten, zugleich mit einer höheren Wahrscheinlichkeit höherer Geburtenraten mit allen Folgen u.a.. Außerdem würde die kindliche Bevölkerung nach 18 Jahren in ein nicht gefördertes Erwachsenendasein hineinwachsen, was die Frage nach Folgeleistungen aufwirft und so weiter die bedarfsorientierte Versorgung der Bevölkerung erzwingt. Ausgehend von der individuellen Nutzenfunktion läßt sich an der kindlichen Entwicklung diese gültig und zuverlässig ermitteln und mit Hilfe der EDV optimal umsetzen; eine Orientierung nichtstrategischer Bedarfe an der individuellen Nutzenfunktion kann so weiter die Bedarfsorientierung fördern. Die notwendigen strukturellen Veränderungen dürften innerhalb von 18 Jahren gelingen ohne auf diesen Zeitpunkt bezwungen zu sein. Natürlich kumulieren in diesen 18 Jahren neue Geburtenjahrgänge und lösen so nach und nach die alte Leistungsgesellschaft ab. Die beschriebene Abkehr der Deutschen vom Leistungsprinzip erfordert sicherlich eine Mentalitätsänderung der Bevölkerung. Insbesondere muß den Menschen ein Instrumentarium in die Hand gegeben werden, mit dem sie ihr Leben selbstbestimmt nutzen können. Wenn hierbei keine effiziente Lösung gefunden wird, kann es zu individuellen Problemen gesellschaftlichen Ausmaßes mit großen Wohlfahrtseinbußen kommen. Die Umerziehung der Bevölkerung kann aber über den beschriebenen Prozeß der Erneuerung der Generationen gelingen. Erfahrungen aus der deutschen Entnazifizierung sind für die Entrobotisierung sicher hilfreich. Das Ziel ist, den Menschen des Landes im Rahmen des Grundgesetzes vom 23. Mai 1949 ein selbstbestimmtes entproblematisiertes Leben zu ermöglichen, ohne eine übergeordnete Begründung zu finden, damit das Leben sich selbst genug ist.
Die Reform des Arbeitsmarktes in Deutschland nach Hartz IV orientiert sich wesentlich anhand der o.g. Gewichtung nach Leistungs- und Bedarfsprinzip, wobei hier die optimale Verteilung der Güter nicht gesucht wird, sondern die Produktion im Mittelpunkt steht. Die Forderung nach Wachstum soll hierbei zugleich die Arbeitsplätze schaffen und das Wohlbefinden der arbeitslosen Bevölkerung steigern. Dazu ist allen bewußt, dass ein überdurchschnittliches Wachstum großen Ausmaßes notwendig wäre, allein um die o.g. durch technischen Fortschritt wettgemachten Arbeitsplätze zu ersetzen. Zugleich würde das Wachstum, wenn es denn größer wäre, weitere Arbeitsplätze schaffen, aber auch Ressourcen verbrauchen, was nicht ersetzbar ökologische Konsequenzen hätte und schon beschworene Szenarien des Systemzusammenbruchs (Club of Rome) zur Folge haben kann. Ausgehend davon, dass es jedoch nicht zu solch gewaltigen Wachstumsraten käme, könnte man davon ausgehen, dass Hartz IV die Verteilung des "Kuchens" (BIP) verändert ohne ihn zu vergrößern. Es stellt sich die Frage, ob diese veränderte Verteilung anhand des Leistungsprinzips von der betroffenen Bevölkerung gewollt ist. Wohlfahrtsökonomisch ist diese Verteilung z.B. dann zu bejahen, wenn das Wohlbefinden der Bevölkerung regelutilitaristisch saldiert insgesamt zunimmt. Da sich die Verteilung an der Leistung und erst dann am Bedarf orientiert, ist eine solche Wohlfahrtserhöhung fraglich.

Zwei Aspekte von Hartz IV:
Insbesondere für Akademiker führen die Hartzgesetze zu nichtkompensierten Risiken. Denn der Fall nach einem akademischen Arbeitsleben in die Arbeitslosigkeit ist groß und wird nicht mehr wie bisher aufgefangen. Risiko muß im ökonomischen Leben aber generell kompensiert werden, dies ist hier jedoch bis jetzt nicht so. Dementsprechend müssen zukünftige Akademikergehälter höher angemessen ausfallen, damit sich das Studium ökonomisch lohnt (Vergl. Arbeitskosten in Deutschland zu hoch). Solange dies nicht so ist, ist die Investition in das Humankapital anhand eines Studiums nicht gerechtfertigt und sollte abgeraten werden.
Um effizient Arbeit zu vermitteln, sollten private Unternehmer hierfür zuständig sein. Die bisherigen Arbeitsämter sind bisher nicht in der Lage, mehr als 1,8-2,4% der 6% Lohnabgaben in die Arbeitsvermittlung einzubringen. Wäre eine Arbeitslosenversicherung eine private Entscheidung, so wäre das Nettogehalt zum einen höher und könnte mit zur Risikokompensation beitragen und zum anderen könnte der Arbeitsnehmer selbst frei entscheiden, ob oder wie er hier versichert ist; er könnte die Prämie einbehalten und das Risiko selbst tragen oder sich bei einem privaten Versicherungsunternehmen anhand seiner Bedürfnisse versichern. Es folgt die Abschaffung der Bundesagentur für Arbeit.

Fazit:
Beschäftigung ist nicht irrelevant, aber sie ist längst nicht so wichtig, wie die Politik es glauben machen will, selbst die Wirtschaft legt nicht soviel Wert darauf; da die Politik in einer Demokratie den Willen des Volkes wiedergibt, ist es drastisch notwendig, die Mentalität der Bevölkerung den realen Gegebenheiten anzupassen, denn es ist mittelfristig davon auszugehen, dass die Versorgung der deutschen Bevölkerung mit weniger als 10 Millionen Beschäftigten hinreichend gewährleistet ist. So gehen die von der Bundesregierung veranlassten Reformen des Arbeitsmarktes nach Hartz IV. in die falsche Richtung. Viel wichtiger ist die Verteilung. Warum gerade die SPD in wirtschaftlich erheblich magereren Jahren das Bad Godesberger Programm aufstellte und damit den bisherigen Sozialstaat überhaupt erst ermöglichte, um gerade im Zustand größten Reichtums all dies wieder in Frage zu stellen, ist bemerkenswert und läßt vermuten, dass hier noch nicht eingehend durchdacht wurde. Es scheint, dass die Ermittlung staatstragender Entscheidungen aufgrund von betriebswirtschaftlichen Überlegungen hier den handwerklichen Fehler darstellen. Immerhin sind es volkswirtschaftliche Überlegungen, die in der Geschichte der Menschen zuerst ökonomisiert wurden, die betriebswirtschaftlichen sind hiervon abgeleitet.

Hier finden Sie weitere Informationen zur Wohlfahrtstheorie.

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