Demokratie ist unmöglich

25.01.2003
(VS) Fünf Forderungen, die man an eine demokratische Gesellschaft stellt und die für sich genommen als selbstverständlich und logisch gelten führen insgesamt, zum sog. Unmöglichkeitstheorem und lassen einige Wissenschaftler dazu hinreißen, die Behauptung aufzustellen, daß Demokratie unmöglich sei. K. J. Arrow zeigte 1951, daß es unmöglich sei, individuelle Präferenzen zu einer kollektiven Präferenz zu aggregieren. Unter der Prämisse, dass hierbei mindestens drei Individuen und mehr als zwei Alternativen beteiligt seien ist es nicht möglich, eine Social Welfare Function (SWF) aufzustellen, also eine Regel, mit deren Hilfe kollektiv entschieden wird, in welcher Beliebtheitsreihenfolge die Alternativen aufzustellen sind.

Rationalität:
Zunächst unterstellt Arrow den Individuen die Eigenschaft der Rationalität. Diese ist eigentlich nicht so leicht zu definieren, aber in der Welt der kollektiven Entscheidung kann man die Definition auf die Eigenschaft der Transitivität fokusieren. Transitivität bedeutet, daß, wenn ein Individuum die Alternative a besser findet als die Alternative b, gleichzeitig aber die Alternative b besser findet als die Alternative c, daß dann über dieses Individuum fraglos anzunehmen ist, daß es die Alternative a besser findet als die Alternative c. Unter der Prämisse dieser Rationalität nennt Arrow die 4 Hauptsätze seines Theorems.

Unbeschränkter Gültigkeitsbereich:
Hiermit ist gemeint, daß in einer Gesellschafft alle möglichen Aufstellungen der Alternativen zur Auswahl stehen sollen. Keine logisch mögliche Permutation einer Auswahl von Alternativen darf aus dem demokratischen Prozeß ausgenommen sein, d.h. keine individuelle Meinung darf von vornherein ausgeschlossen werden.

Unabhängigkeit von irrelevanten Alternativen:
Dieses Kriterium meint, daß irrelevante Alternativen für den Entscheidungsprozeß keine Bedeutung haben sollen. Z. B. könnte man sich vorstellen, daß eine Gesellschaft nach irgendeiner Entscheidungsregel (z.B. einfache Mehrheitsregel) aus 4 Bewerbern auswählen soll. Die Gesellschaftsmitglieder sind unterschiedlicher Ansicht, welcher Bewerber als erster, welcher als zweiter usw. gewählt werden sollte. Tatsächlich erbringt eine Wahl nun aber nach der einfachen Mehrheitsregel eine kollektive Auswahl, in welcher Reihenfolge die Bewerber zu wählen seien. Man stelle sich vor, daß ein Bewerber nun ausfällt und nicht mehr zur Wahl steht. Independence of irrelevant Alternatives fordert, daß nun die übrigen Bewerber trotzdem beim Streichen des ausgefallenen in einer gleichen (verkürzten) Rangfolge bleiben, d.h. die für den Entscheidungsprozeß im weiteren irrelevante Alternative soll keinen Einfluß auf die Auswahl der anderen Alternativen haben, bzw., die kollektive Meinung zwischen zwei Alternativen darf nur von den individuellen Meinungen hierzu abhängen, jedoch nicht von einer dritte Alternative beeinflußt sein.

Pareto-Optimalität:
Dieses nach Vilfredo Pareto, einem berühmten italienisch-französischen Ökonom des 19. Jahrhunderts, benannte Prinzip fordert, daß ein Zustand als optimal zu gelten hat, wenn es nicht mehr möglich ist, eine Person besser zu stellen, ohne eine andere Person schlechter zu stellen. Bezogen auf die Theorie der kollektiven Entscheidung bedeutet es, daß Einstimmigkeitsentscheidungen möglich sein sollen, d.h., wenn alle Individuen eine Alternative als die beste ansehen, daß dann auch diese Alternative auszuwählen sei; bei der Einstimmigkeit existiert ein Pareto-optimaler Zustand im schwachen Sinne.

Keine Diktatur:
Hierunter ist zu verstehen, daß es in einer kollektiven Entscheidungssituation keinen Diktator geben darf, also niemanden, der seine Präferenz (Meinung) bestimmt für alle.

Aus den genannten 5 Forderungen an einen demokratischen Prozeß, also, daß die Individuen rational sind, daß es keine Beschränkungen der zur Auswahl stehenden Alternativenrangfolgen geben darf, daß für den Auswahlprozeß unwichtige Alternativen keinen Einfluß auf die Entscheidungsfindung haben dürfen, daß es möglich sein soll eine einstimmige Entscheidung zu treffen und daß es keinen Diktator geben darf, folgert Arrow sein Unmöglichkeitstheorem indem er behauptet, daß es keinen demokratischen Prozeß gibt, der zugleich alle 5 Bedingungen erfüllt. Dies ist zunächst sehr überraschend, denn alle fünf Bedingungen klingen für sich genommen recht einleuchtend für eine Demokratie, ja um nicht zu sagen, diese fünf Bedingungen sind die Merkmale einer Demokratie schlechthin. Als Beweis sei der von Arrow 1963 erschienene vorgestellt. Arrow geht darin davon aus, daß die o.g. ersten drei (vier) Bedingungen im Widerspruch zum Diktaturverbot stehen. Er argumentiert, daß, wenn die Gruppe aller Individuen einstimmig entscheidet, so besitzt auch ein Anteil dieser Gruppe die gleiche Entscheidungsgewalt. Ist also jeder kollektive Anteil entscheidend über die Alternativen, so wird bei der weiteren Teilung wegen der Endlichkeit der Menge von Individuen als letztes ein entscheidendes Individuum herauskommen, welches also ein Diktator sein muß. Dieser Widerspruch begründet die Unmöglichkeit.

Seit Aufstellung des Unmöglichkeitstheorems von Arrow 1951 gab es eine Fülle von Autoren, die versucht haben, dieses zu widerlegen. Auch wurden verschiedene Ansätze zur Beweisführung der Unmöglichkeit vorgestellt. Vielfach wurde gezeigt, daß man durch Abschwächung der Bedingungen (z.B. der Rationalität der Individuen) zur Möglichkeit der Aggregation individueller Präferenzen kommen würde. Letztendlich muß man jedoch konstatieren, daß das Unmöglichkeitstheorem von Kenneth Arrow in seiner einfachen Form von 4 Forderungen unter der Prämisse der Rationalität (Transitivität) bis heute seine Gültigkeit hat. Kenneth Arrow erhielt 1972 den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften.

                                                                                                           zurück ...